Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
aus seinem Leib gewichen zu sein.
Doch es war nicht nur die überwundene Pest, die ihm in diesem Moment zusetzte. Es war auch eine ungute Erinnerung, welche Wolfram von Nellenburg mit seinen leidenschaftlichen Worten soeben in Konrad wachgerufen hatte. Der Deutschmeister, der sich über dumme, aber einflussreiche Adelssprösslinge geärgert und behauptet hatte, nur hier auf dem Reichsgebiet geriete der Orden wegen ihrer Ansprüche und Eskapaden in Bedrängnis– der Deutschmeister irrte in dieser Hinsicht gewaltig. Denn es gab sie im Ordensland durchaus, diese verwöhnten Kameraden. Zwar waren sie keine Angehörigen des Ordens, sondern nur Gäste, aber als solche strömten sie zwei Mal im Jahr in Scharen herbei, um an den sogenannten » Litauenreisen « teilzunehmen. Unter dem Deckmantel der Heidenmission waren diese Reisen nichts anderes als eine Menschenjagd, eingebettet in üppige Bankette sowie feuchtfröhliche Gelage und ausgeübt, um zahlender, hochadeliger Kundschaft aus ganz Europa ein spannendes Abenteuer zu ermöglichen. So zumindest sah es Konrad, und er war nicht der Einzige, der diese sommerlichen und winterlichen Spektakel verabscheute, bei denen auch Frauen und Kinder wie Vieh zusammengetrieben und eingefangen, ja, sogar getötet wurden. Dennoch hatte auch Konrad an diesen Zügen teilgenommen, ja er leitete sie sogar, führte ganze Meuten adeliger Jünglinge ins Gebiet der Litauer, um dort gegen die gottlosen Leute zu kämpfen. Zwar achtete Konrad darauf, dass es vorwiegend zu einigermaßen ehrenhaft ausgetragenen Auseinandersetzungen mit bewaffneten Männern kam, doch das hatte er nicht immer in der Hand. Und so war er im vergangenen Sommer Zeuge geworden, wie zwei Sprösslinge aus hohem Reichsadel es lustig fanden, eine litauische Frau vor den Augen ihrer weinenden Kinder bestialisch zu quälen und brutal zu schänden.
Konrad hatte unvermittelt zugeschlagen. Nicht mit dem Schwert, sondern mit den Fäusten. Bewusstlos waren die Rüpel gewesen, alle beide. Doch das hatte ihn nicht geschert. Er hatte sie in seinem Zorn liegen lassen und war mit dem Rest seiner Reisegruppe wieder zurück hinter die schützenden Mauern der nächsten Ordensburg geritten. Am folgenden Tage war nur einer der beiden zweifelhaften Abenteurer wieder aufgetaucht und hatte sogleich lauthals über den Ritter von Tiefenbrunn Beschwerde geführt, welcher nicht nur ein Heidenfreund, sondern auch Schlächter der eigenen Kameraden sei. Von dem anderen jungen Adeligen, Sohn eines einflussreichen Grafen von Topfen, fehlte seither jegliche Spur. Der Vater des Verschollenen und dessen mächtige Freunde waren aufgebracht, selbst das luxemburgische Königshaus soll von dem niederträchtigen Verhalten des Ordensritters Tiefenbrunn erfahren haben.
Konrad hatte seither mit bösen Konsequenzen zu rechnen. Vergeblich war er mehrmals zur Suche nach dem Vermissten aufgebrochen, hatte ihn jedoch nie gefunden. Und schließlich, als der Unmut in der Marienburg immer größer wurde, war er demütig dem Wunsch des Hochmeisters gefolgt, das Land möglichst rasch zu verlassen. Jetzt befand er sich auf dem Rückweg von seinen Visitationen, und bald würde ihn diese ungute Geschichte, an welche von Nellenburg ihn soeben unabsichtlich erinnert hatte, wieder einholen. Und dieser Gedanke trug nicht gerade dazu bei, Konrads Unwohlsein zu mildern.
» Ich sehe, Bruder Konrad « , vernahm er nun dumpf die Stimme Wolfram von Nellenburgs, » die lange Reise hat Euch ein wenig mitgenommen. Ihr solltet Euch stärken. Wir sprechen später weiter. Erlaubt mir, Euch gemeinsam mit euren mitreisenden Brüdern zu einem bescheidenen Mahl einzuladen. Mit vollem Magen lässt es sich besser weiterverhandeln. «
Dabei griff der Deutschmeister nach Konrads Oberarm und geleitete ihn geradewegs zum Speisesaal, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, weitere Fragen zu stellen.
Es war, trotz der verhältnismäßig misslichen wirtschaftlichen Lage, ein prächtiges Mahl, das sie gemeinsam zu sich nahmen. Konrad jedoch verspürte kaum Appetit, er verzichtete auf Spanferkel, Fasan und Marzipan und kaute lediglich an einem trockenen Stück Brot herum. Er fühlte sich noch immer schlapp und kochte gleichzeitig innerlich, dass er dem wortgewandten von Nellenburg so wenig hatte entgegensetzen können. Zusätzlich verdarb ihm auch noch die Aussicht darauf, was ihn nach ihrer Ankunft auf der Marienburg erwarten würde, die Lust am Essen.
Seinen Begleitern erging es da anders, sie schmausten
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