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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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erzwungene Keuschheit sie derart rasend machten, dass sie sich die Kleider vom Leibe rissen und von Jesus als ihrem Gatten sprachen. Verrückte Weiber waren das in ihren Augen, Wahnsinnige, deren Problem sehr einfach zu lösen wäre, wenn sie sich nur erlaubten, was Elisabeth sich endlich zu erlauben gewillt war: ein durch und durch weltliches Dasein mit allem, was an Licht- und Schattenseiten dazugehörte.
    » Ja, lass uns gehen « , sprach Adelheid plötzlich. Nein, sie rief es. Sie rief es ein wenig zu laut, sodass Elisabeth glaubte, die Schwester, welche nun zur Türe hereinkam, um die kränkelnde Adelheid ins hauseigene Hospital zu bringen, habe alles belauscht. Doch zum Glück schien das nicht der Fall zu sein.
    Willig ließ Adelheid sich wegführen, während Elisabeth ihr noch einmal zwinkernd zunickte. Auch Adelheid nickte.
    Das Vorhaben war also beschlossen. Jetzt hieß es nur noch, es in die Tat umzusetzen.
    Aber wie in Gottes Namen sollte man ohne Hilfe einem goldenen Käfig wie diesem entkommen?
    Johann liebte Burgen.
    Schon als Kind hatte er sich heimlich vom Hofe seines Vaters fortgestohlen, um die mächtige Burg des Grundherrn aufzusuchen, sich dort herumzutreiben und im Schatten des Bergfrieds mit einem Stock als Schwert und einem großen Stück Rinde als Schild Ritter zu spielen. Er liebte die Geschichten, welche es über die tapferen Leute zu erzählen gab, die sich einst aufmachten, um das Heilige Land von den bösen, niederträchtigen Heiden zu befreien. Er bekam nicht genug davon, und auch nun, als Mann– denn wie ein solcher fühlte er sich– wäre er liebend gern ein heldenhafter Edelmann gewesen, ausgestattet mit Ross und Rüstung. Ja, vielleicht, so wagte er zu hoffen, vielleicht würde ihr Ziel in diesem von Regino als so wunderbar geschilderten Osten einem Bauernjungen wie ihm eine solche Möglichkeit eröffnen. Johann hatte von den Ordensrittern gehört, die irgendwo im Osten lebten und noch immer Kreuzzüge gegen dortige Heiden unternahmen. Was würde er darum geben, von ihnen aufgenommen zu werden!
    Ja, Johann träumte gern, und um an diesem Tag in Ruhe träumen zu können, hatte er, nachdem sie das Stadttor Quedlinburgs passiert hatten, beschlossen, seine Gruppe zu verlassen und diese mächtigste aller jemals zu Gesicht bekommenen Ritterburgen in Augenschein zu nehmen, die dort so trutzig über die Stadt ragte. Zwar hatte die Hexe Maja ihm gesagt, bei diesem wehrhaften Gemäuer handele es sich nicht um eine Ritterfeste, sondern vielmehr um ein Frauenkloster, aber auch diese wenig heldenhafte Realität konnte der Fantasie des jungen Träumers keinen Abbruch tun.
    Frohen Mutes stapfte er pfeifend, einen kleinen Pfad wählend, den steilen Hang hinauf und ließ sich nach anstrengendem aber lohnendem Marsch an der kühlen Außenmauer der unendlich hohen, massiven Umfriedung nieder, um sich die Frühlingssonne ins Gesicht scheinen zu lassen und alle Gedanken freizugeben.
    Herrlich war es. Er genoss die Einsamkeit. Fern von dem verrückten Regino, fern von den ewig turtelnden Pärchen, fern von den unreifen Buben, fern von der gruseligen Maja und fern von der schönen Marie, die schon so manches Mal auf dieser Reise heimliche Verwirrung in ihm gestiftet hatte. Gerade war er mit geschlossenen Augen auf einem Feldzug gegen wilde Reiterhorden und kämpfte gegen einen hünenhaften, bärtigen Heiden, der eine riesige Streitaxt schwang, als ihm plötzlich eine ganze Handvoll kleiner Kiesel mitten ins Gesicht fiel.
    » Verdammt noch eins! « , schrie Johann, sprang auf und fluchte, weitere laute und äußerst anzügliche Schimpfworte ausstoßend.
    » Psssst « , machte es von weit oben, » psssst. «
    Doch er vernahm es nicht.
    Wieder setzte es eine Handvoll Kiesel.
    » Was ist das, in Dreiteufelsnamen? « , schrie er.
    » Psssst. «
    Jetzt erst schaute er nach oben. Dort in luftiger Höhe winkte jemand.
    Johann legte seine Hand über die Augen, um sie vor der Sonne abzuschirmen. Nun erkannte er in dem winzigen Kopf, der über die mächtige Mauer lugte, eine Frau, eine verschleierte Frau, gewiss eine Nonne. Wie konnte es auch anders sein? Maja hatte ihm diese Information ja mit auf den Weg gegeben.
    » Entschuldigt, Schwester, meine unflätigen Worte, aber Ihr habt mich erschreckt « , rief er hinauf.
    » Leise « , zischte es herunter.
    Johann zuckte nur mit den Schultern und machte sich auf zu gehen.
    » Halt « , rief es daraufhin von oben.
    » Was noch? « , antwortete er gereizt.
    » Wartet.

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