Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
kommen sie. Verbergen wir uns lieber hinter dem Brunnen, falls es doch andere sind « , sagte Marie plötzlich hektisch und zog den Jungen hinter die rundgemauerte Umfriedung. Schritte näherten sich. Langsame, zögerliche, leichte Schritte waren es. Vorsichtig lugte Marie über den Mauerrand des Brunnens.
Ein schrilles Quieken ertönte.
Doch so plötzlich es zu vernehmen gewesen war, so plötzlich erstarb es auch wieder.
Zwei Frauen standen dort. Die eine hatte der anderen die Hand auf den Mund gelegt und winkte nun mit der freien Hand in Maries Richtung.
» Steh auf, Johann « , flüsterte diese dem Burschen zu, der lieber einen Hupfer in den Brunnen gemacht hätte, als sich nun zu zeigen.
Ihm war angst und bange.
XV
W ahrlich, er fühlte sich wie ein Kind Gottes, dieser Regino von Bunseborn oder vielmehr Heinrich Klumpacker, wie er ja mit Taufnamen hieß. Wie anders ließe sich auch erklären, dass ihm erneut das Glück hold gewesen war und für ihn die Kohlen aus dem Feuer holte. Nicht nur, dass er seine Leute glücklich nach Quedlinburg gebracht hatte. Nein, hier an diesem Ort hatte sich wie aus dem Nichts auch das Problem gelöst, welches ihm der gewiss bald auftauchende, mysteriöse Fips aufgeladen hatte. Bezahlt wollte er werden, der Lümmel. Und bezahlt musste er werden, denn Regino wollte, aber konnte leider nicht ohne ihn, und deshalb war der Pfeifer gezwungen, tatsächlich alles zu geben, um seinen Auftraggeber zufriedenzustellen und gleichzeitig auf Abstand zu halten. Doch da Regino das Glück beständig gewogen war, hatte sich nun in Quedlinburg mit einem Male eine Möglichkeit aufgetan, Fips’ jüngste Begehrlichkeiten zu stillen.
Jungfrauen, so hatte Fips noch in Goslar getönt, seien schwieriger zu finden als der Heilige Gral. Und nun hatte Regino gleich zwei Grale auf einmal gefunden, beziehungsweise, es waren ihm diese gebracht worden– und dass es sich bei den beiden blassen, reinen Gewächsen um bislang unberührte Mädchen handelte, davon war ob ihrer Herkunft und Erziehung fest auszugehen.
Welch ein beneidenswerter Glückspilz er doch war.
Am liebsten hätte Regino sich die Hände gerieben, als er vor den zwei in der schäbigen Unterkunft an der Stadtmauer friedlich schlafenden Mädchen stand. Doch einerseits verbot ihm der wachsam strenge Blick der alten Maja ein derartig verdächtiges Verhalten, und zum anderen war da leider, leider auch etwas, was ihm immer und immer wieder in seinem Leben im Wege gestanden hatte: das Gewissen.
So hübsch anzuschauen waren sie, so sauber, so frisch, so unschuldig, so schutzbedürftig, dass es ihm schier das Herz brach, wenn er darüber nachdachte, was Vitus Fips gewiss mit ihnen anzustellen trachtete, falls er ihrer habhaft würde.
» Es bricht mir schier das Herz, wenn ich darüber nachdenke, in welche Welt sich diese beiden jungen Dinger haben stehlen lassen « , sagte er nun auch, einen scheelen Blick auf Maja gerichtet. Er spürte, dass man der Alten nichts vormachen konnte, und wollte die Wahrheit darum nicht vollkommen verdrehen.
» Da hast du recht, Regino « , murmelte diese, ohne ihren festen Blick von ihm abzuwenden.
Sie, der Pfeifer und die schlafenden Stiftsdamen waren allein in dem zeltartigen Raum. Während es die Übrigen in die Stadt verschlagen hatte, waren Marie und Johann nach ihrer nächtlichen Tour soeben erst erwacht und nahmen draußen ein kleines Frühstück ein.
» Gefährlich ist es zudem, solch kostbare Geiseln bei sich zu führen. Dafür werden wir büßen « , murmelte Maja, erneut eine ihrer düsteren Vorahnungen aussprechend.
» Aber was sagst du da, Maja? Sie sind doch aus freien Stücken bei uns. «
» Wer wird uns glauben? So rasch wie möglich sollten wir von hier verschwinden, man hat auf der Burg gewiss bereits vernommen, dass zwei kostbare Juwelen fehlen, und wird bald jeden Aus- und Einreisenden auseinanderpflücken wie geschlachtete Hühner. «
» Und weil dem so ist, wäre es besser, wir warten noch einige Tage, bis sich die Wogen geglättet haben und wir ohne Sorgen die Stadt verlassen können. «
» Mitsamt der kostbaren Fracht? « , wollte Maja wissen und beäugte Regino kritisch.
» Wenn Johann sich die Mühe gemacht hat, sie zu befreien, so wird er sie gewiss mitnehmen wollen. Man sollte der Liebe alle Türen und Tore offen halten. «
» Du willst sie also wirklich mitnehmen, die beiden edlen Täubchen? «
» Was fragst du, Maja? Immerhin hast du selbst dem Grünschnabel den Brief
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