Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
es schon geschehen? « , fragte er, wie angewurzelt in der Tür stehend und auf den regungslos, aber mit lächelndem Gesicht daliegenden Jungen deutend.
» Ja « , bestätigte Konrad leise und schloss sanft mit der rechten Hand die erstarrten Augen des jungen Friedrich.
XIV
A m nächsten Morgen setzten Regino und seine Leute ihren Marsch in den Osten fort. Das neue Ziel hieß Quedlinburg. Regino schwärmte in den höchsten Tönen von dieser prächtigen Stadt mit ihrem berühmten Stift, in welchem schon seit jeher junge Damen und auch Witwen aus dem hohen Reichsadel vor den Versuchungen des weltlichen Lebens beschützt wurden. Ja, Regino pries diesen Ort, an dem er selbst nie zuvor gewesen war und den ihm der schreckliche Fips als nächstes Ziel genannt hatte, so sehr, dass man glauben mochte, bei Quedlinburg handele es sich um nichts Geringeres als den Garten Eden. Das Gute an der unerschöpflichen Euphorie des Lokators war, dass dessen Begeisterung durchaus ansteckend war, zwar nicht in dem Maße, wie Regino selbst sie verströmte, aber ein Bruchteil dieser Freude genügte bereits, um auch die ihm folgenden Burschen, Mädchen und Frauen zumindest in hoffnungsvolle Stimmung zu versetzen und ihnen den bevorstehenden Gewaltmarsch so angenehm wie möglich erscheinen zu lassen.
Sie durchquerten nach einer im Freien verbrachten, recht milden Nacht am Tage nach dem Aufbruch aus Goslar das schroffe, verwunschen wirkende Ilsetal, lauschten seinen rauschenden Bächen, rasteten auf seinen moosbewachsenen Felsen und ließen sich von einem Schweinehirten die wundersame Legende der schönen Prinzessin Ilse und deren Liebe zu einem verhexten Prinzen erzählen. Der redselige Hirte berichtete auch von einer sich erst jüngst zugetragenen Begebenheit, bei der zwei hiesige Holzfällerkinder vom Hunger so tief in den Wald getrieben wurden, dass sie sich verliefen und in die Gefangenschaft einer bösen Hexe gerieten, aus der sie sich nur durch eine kluge List wieder befreien konnten.
Ja, von Hexen schien es hier im Harz tatsächlich überall zu wimmeln, zumindest hieß es so. Die Gruppe jedoch bekam nie eine dieser Zauberinnen zu Gesicht, es sei denn, so scherzte Johann unaufhörlich, man zählte Maja dazu, welcher man durchaus zutrauen würde, dass sie sich alsbald auf einen Besen schwingen und sich zu dem stets am südlichen Horizont sichtbaren großen Berg namens Brocken, auch Blocksberg genannt, aufmachen würde. Maja, welche die Scherze der frechen Burschen durchaus wahrnahm, störte sich nicht daran. Mitunter erlaubte sie sich sogar ihrerseits Streiche mit dem jungen Volk, indem sie sie durch finstere Blicke, unverständliches Gemurmel und wilde Gesten in Angst und Schrecken versetzte, um sie somit in ihren Vorurteilen zu bestärken.
Insgesamt verlebten sie also recht angenehme Marschtage, es gab keine sonderbaren Begegnungen, keine Verletzungen, und sogar das Wetter meinte es gut mit ihnen.
In der Neustadt von Wernigerode legten sie eine längere Rast ein. Regino zog es vor, sich bei den hiesigen Ackerbürgern als fromme Pilger auszugeben, die kein Geld erbettelten, sondern lediglich um etwas Essbares und eine kostenlose Schlafstatt baten. Dabei wurde er nicht müde, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu wiederholen und den Leuten bereits von Weitem– und im Vorhinein dankend– folgende Worte Jesu zuzurufen:
» Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan. «
Die meisten konnten in Anbetracht dieser zur Schau gestellten Frömmigkeit und unter Berücksichtigung des eigenen Seelenheils die Reisenden nicht einfach davonjagen, und so erhielten sie nicht nur die Möglichkeit, zwischen zahllosen blökenden, aber Wärme spendenden Tieren in einem niedrigen Schafstall zu übernachten, sondern konnten auch alsbald mit reichlich Proviant in den Taschen weiterziehen.
Sieben Tage, nachdem sie aus Goslar aufgebrochen waren, erreichten sie schließlich Quedlinburg. Wie Goslar war dies eine weitere prächtige Kaiserstadt, die nicht dem Andenken des salischen, sondern vielmehr des ottonischen Geschlechts gewidmet war.
Einer uneinnehmbaren Festung gleich ragte das Frauenstift, auf einem Berg erbaut, über die Stadt. Aber uneinnehmbar war das Stift St. Servatius, hinter dessen Mauern sich zahlreiche, mehr oder weniger schöne junge Adelstöchter aufhielten, ganz und gar nicht. Das hatte bereits der Jüngling Werner im Jahre 999 bewiesen, als er der Äbtissin Mathilde, Tochter Kaiser Ottos
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