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Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesus Carrasco
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kannte, und konzentrierte sich einmal mehr auf den Teil des Großen Wagens, der mit dem Polarstern endete. Er fragte sich, ob er erneut in die von ihm angezeigte Richtung marschieren würde, sobald er sich erholt hätte. Er spürte, wie die erkaltenden Umschläge des Ziegenhüters auf seinem Gesicht fest wurden, eine Maske, bei der der Alte nurLöcher um Augen und Mund ausgespart hatte. Die wächserne Feuchtigkeit des Stoffs hatte sich noch nicht auf seine gespannte Haut übertragen.
    Der Duft nach Brot streifte sein Gesicht, und er merkte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Als er aufblickte, sah er, wie der Hirte das kleine Feuer austrat und anschließend lockere Erde darüber verteilte, um die Glut zu ersticken. Dann kam er auf ihn zu und blieb vor seinen Füßen stehen. Er schien unsicher zu sein, ob der Junge mitten in der Nacht wach war oder schlief. Mit der Stiefelspitze stupste er sanft sein Bein an und sagte, noch bevor dieser sich regte:
    »Essen.«
    »Ja, Señor.«
    »Nenn mich nicht Señor!«
    Als der Junge zu der Stelle kam, an der das Feuer gebrannt hatte, aß der Alte bereits. Er tunkte Stücke ungesäuerten Brots in ein Gefäß mit Wein. Auf einem Stein jenseits der Aschereste stand eine dampfende Olivenholzschale. Der Junge blickte den Alten an, als wollte er fragen, ob er sein Haus betreten dürfe, woraufhin der Mann mit einer Kinnbewegung auf die Schale frisch gemolkener Milch wies. Der Junge setzte sich auf den Stein und führte sich die Schale zum Mund. Ein Teil der Milch rann über die Falten seiner wächsernen Gesichtsmaske. Der Junge merkte, wie die Spannung um seinen Mund herum langsam nachließ und die Lippen sich der Form des Gefäßes anpassten. Eine Zeit lang konzentrierte er sich darauf, die Milch in kleinen Schlucken zu schlürfen, während er das Gesicht des Alten ihm gegenüber studierte.Er beobachtete ihn verstohlen aus den Augenwinkeln, um sofort wegzuschauen, falls der Mann ihn ertappte, doch der Ziegenhirt war vollauf mit seinem Essen beschäftigt und achtete nicht auf ihn. Irgendwann entdeckte der Junge in der Pfanne die Hälfte des Fladenbrots, das der Hirte gebacken hatte. Er vermutete, der Alte habe es für ihn übriggelassen, traute sich aber nicht aufzustehen und es zu nehmen. Er machte Anstalten, sich zu erheben, scheute dann aber aus Scham oder Angst zurück.
    »Iss den Fladen auf!«
    Der Junge weichte die Stücke in der lauwarmen Milch ein, so wie er es bei dem Hirten gesehen hatte. Es kostete ihn Mühe zu kauen und zu schlucken, doch der Hunger siegte über die Schmerzen. Während er seine Schale auswischte, dachte er, dass er zum ersten Mal etwas Warmes zu sich nahm, seit er vor zwei Nächten von zu Hause weggelaufen war, und dass er auch zum ersten Mal in Gesellschaft eines Fremden aß. Dort, mit der Trinkschale in Händen, erkannte er, dass er so grundlegende Gefahren wie Mangel an Nahrungsmitteln oder die harten Lebensbedingungen in der ausgedörrten Ebene nicht bedacht hatte. Genauso wenig hatte er damit gerechnet, jemanden um Hilfe bitten zu müssen, schon gar nicht so bald. Eigentlich hatte er seinen Aufbruch überhaupt nicht vorbereitet. Irgendwann war das Fass einfach übergelaufen. Von dem Moment an war in ihm der Gedanke an die Flucht als einziger Hoffnungsschimmer aufgekeimt, um irgendwie die Hölle des Totschweigens zu ertragen, in der er lebte. Eine Idee, die in seinem Kopf heranzureifen begann, bis er mit dem Verstand so weit war, sie aufzugreifen.Seither hatte sie ihn nie mehr losgelassen. Abgesehen von dem Proviantsack und seinem Entschluss, in einer mondlosen Nacht zu fliehen, hatte er keinerlei Vorkehrungen getroffen oder Eventualitäten einkalkuliert. Er hatte auf seine Kenntnisse vertraut, um sich einigermaßen durchzuschlagen. Schließlich war er nicht weniger ein Kind dieser Gegend als die Rebhühner oder die Olivenbäume. Neben seinem schlafenden Bruder liegend hatte er sich in den Nächten vor seiner Flucht ausgemalt, wie er den Kaninchen Fallen stellte oder mit seiner Steinschleuder Wachteln jagte. Er hatte gelernt, Frettchen als Köder zu benutzen. Solange er denken konnte, hatte er seinen Vater auf die Karnickeljagd begleitet. Sie hatten eine Böschung oder einen Hohlweg gesucht, wo die Kaninchen ihren Bau gegraben hatten, und Netze über alle Ausgänge gelegt. Diese befestigten sie jeweils zu beiden Seiten der Löcher mit Holzstäben. Dann setzten sie das Frettchen unter eines der Netze. In nur wenigen Sekunden drang das Tierchen zu der

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