Die Flucht: Roman (German Edition)
Mal beim Satteln des Esels zu, eine umständliche Zeremonie, die er sich einzuprägen versuchte. Der Alte packte den Esel am Halfter und zog, bis das Tier sich erhob. Ohne es loszubinden, legte er eine lange Satteldecke aus Wachstuch über seinen Rücken. Darüber breitete er ein sackleinenes Packtuch, setzte einen Korbsattel darauf und zog den Gurt unter dem Schwanz durch. Bevor er das Tier belud, lockerte er die Strohfüllung auf, die sich nach dem Umladen am Boden der Packkörbe zusammengeballt hatte. Schließlich sicherte er die ganze Montur noch mit einem breiten Hanfgurt, den er unter dem Bauch des Tieres festzurrte, und deckte den Lastsattel mit einem Schurz ab. Den Jungen erinnerte diese Geste an den Augenblick während der Messe, wenn der Priester nach dem Erteilen der Kommunion zum Altar zurückkehrte. Zusammen mit dem Messdiener legte er zunächst das Korporale über den Kelch, darauf kam die Patene, die mit dem Kelchtuchabgedeckt wurde, und als Krönung dann der Tabernakelschlüssel.
Am Ende plazierte der Alte quer über den Schurz vier miteinander verbundene Tragekörbe aus Espartogras, die er an beiden Flanken zurechtrückte. Der Esel, der bis dahin stillgehalten hatte, machte Anstalten loszutrotten. Um ihn zu beruhigen, streichelte der Alte seine Stirn und fuhr mit den Fingern durch das Haarbüschel, das zwischen seinen Ohren hervorlugte.
Der Hirte verteilte die Lasten auf die vier Tragekörbe und nahm, als alle seine Habseligkeiten verstaut waren, das Ganze noch einmal schnaufend in Augenschein. Hier und da packte er ein paar Kleinigkeiten um, überprüfte den Schemel und die Pfanne und löste schließlich die Fußfesseln, mit denen die Hufe des Tiers zusammengebunden waren.
Der Hund rannte eifrig von einer Seite zur anderen und drängte die Herde dicht ans Hinterteil des Esels, der hin und wieder austrat, um sie zu vertreiben. Der Alte ließ den Blick noch einmal über den Lagerplatz schweifen und zählte eines nach dem anderen seine Tiere durch, wobei er den Zeigefinger zu Hilfe nahm. Dann rückte er sich den Hut zurecht und streckte die Hand in Richtung des Jungen aus.
»Die Decke.«
Der Junge sprang hoch, hob die Decke vom Boden auf und reichte sie ihm. Der Alte nahm sie entgegen und legte sie über die Packkörbe. Auf seinen Pfiff hin lief der Hund zu einigen noch abseitsstehenden Ziegen und trieb sie zusammen. Der Junge fragte sich, ob sich der gestrige Tagwiederholen würde: Frühstück bei Tagesanbruch, Marschieren und Sonnenstich. Der Alte schnappte sich den Halfterstrick und zog mehrmals daran. Der Esel trottete los, mit schwankender Last hinter dem Alten her, gefolgt vom restlichen Geleitzug. Der Junge blieb, wo er war, und sah zu, wie die Herde an ihm vorbeizog und sich mit lautem Geblöke und sanftem Glockengeläut in allen nur erdenklichen Tonlagen langsam entfernte. Vorneweg der Alte mit dem Esel, dann der Hund, und zum Schluss die Ziegen, die eine Kotspur hinter sich herzogen wie einen Kometenschwanz. Als sie etwa zwanzig Meter weit gekommen waren, hielt der Alte an und wandte sich zu dem Jungen um: »Ich werde nicht bis ans Ende meiner Tage auf dich warten.«
4
S ie marschierten einige Stunden lang über Brachland, der Junge, wie der Alte angeordnet hatte, immer dicht hinter dem Esel. Auf einem verlassenen Feld mit ein paar spärlichen Restbeständen von der letzten Mahd machten sie Halt. Die Ziegen zerstreuten sich und begannen, mit zum Boden gesenkten Köpfen die wenigen Halme abzugrasen. Der Junge, den Kopf mit dem Hemd bedeckt, schaute dem Treiben von seinem Platz im Schatten des Esels zu. Der Alte war stehengeblieben und drehte sich nun einmal um die eigene Achse, bis er die unendliche Weite um sie herum erkundet hatte. Mit einer Hand zum Schutz vor dem blendenden Licht wandte er sich schließlich nach Süden und hielt eine ganze Weile in diese Richtung Ausschau. Anschließend kramte er seine Tabakdose aus der Hirtentasche hervor und drehte sich eine Zigarette. Er blickte zum wolkenlosen Himmel auf und erforschte ihn von einer Seite zur anderen. Dann nahm er den Hut ab, um seinen Kopf auszulüften, bevor er dem Hund mit einem Pfiff das Zeichen zum Aufbruch gab und sie ihren Weg fortsetzten.
Auf dem steinigen Gelände kamen sie nur so langsam voran, dass sie nicht einmal Staub aufwirbelten. Wo immer sie vorbeizogen, zeugten kümmerliche Spuren einstiger Furchen und Äcker von Verwüstung. Ausgewaschene Saatfelder, auf denen sich eine sengende Lehmkruste wellte, in die der
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