Die Flucht: Roman (German Edition)
Klinge in die Innenwand der Tonne gerammt, so lange gebohrt, bis die Kerbe tief genug war, und war wieder davongegangen. Die Mutter hatte sich am Bauch der Tonne festgehalten und sich fallengelassen. Zurück war ein Fleck aus Holzspänen und Sägemehl geblieben, der auf der schwarzen Wasseroberfläche schwamm.
Während er den ruhigen Palmwipfel vor dem blauen Himmel betrachtete, fragte er sich, woher dieses Bedürfnis seines Vaters kam, Wasservorräte zu horten. Er dachte, vielleicht sammelte er es, um es an dem Tag, an dem der Brunnen endgültig versiegte, für ein Vermögen zu verkaufen. Vielleicht wollte er auch seine Familie versorgt sehen, falls noch einmal eine extreme Dürre über sie hereinbräche, und der Letzte sein, der das Dorf verlassen musste. An der Innenwand des Holzfasses für immer verewigt, klaffte die offene Wunde, die der Vater verursacht hatte. Schleimige Büschel blieben an ihr hängen. Ein Geheimzeichen oder ein verschlüsselter Code. Eine Kerbe wie ein Dolch, der aus dem Innern der Tonne aufblitzte, nur für die Kehle der Mutter bestimmt.
Obwohl er die ganze Nacht auf den Beinen gewesen war, wusste er, dass er nicht einschlafen durfte. Die Sonne würde irgendwann untergehen, doch während sie ihre Bahn zog, würde der Schatten der Palme weiterwandern und ihn seines Schutzes berauben. Er streckte sich an seinem östlichen Rand aus in der Absicht, den Platz zuwechseln, sobald der gesamte Schattenfleck über ihn hinweggezogen wäre. Am Boden liegend hob er den Kopf und schaute in alle Richtungen, um abzuschätzen, bis zu welcher Stelle er dem Schatten folgen würde. Dann ließ er den Kopf wieder sinken und sich vom Rascheln der ausgedörrten Palmzweige einlullen, die sich hoch über ihm aneinanderrieben.
Er döste ein.
Als er erwachte, lag er bereits seit zwei Stunden in der prallen Sonne. Er spürte, wie seine Haut sich vom Scheitel bis zum Kinn spannte. Jede einzelne Haarwurzel litt unter einer mikroskopischen Beklemmung, die ihn lähmte. Ein elektrisierendes Surren heizte sein Gehirn auf, sodass er fürchtete, der Kopf müsse ihm jeden Moment platzen. Auf allen vieren schleppte er sich in den Schatten der Palme und ließ sich fallen. Der Staub, der um seinen Körper aufstob, bildete eine kleine Wolke.
In seinem Fieberwahn gibt es keinen Horizont, doch irgendwo verblasst eine rötliche Lichtquelle. Das Dunkel gewinnt die Schlacht. Die Schattierungen verwischen. Irgendwann erwacht eine Windung in seinem Kopf und schlägt Alarm. Sein Wille bahnt sich den Weg durch den Dämmerzustand seines Gehirns, bis er wieder zu Bewusstsein kommt. Er oder jemand, der in seinem Inneren haust, besetzt den Türkensattel in seinem Schädel und übernimmt die Befehlsgewalt über seinen Körper. Er belebt die Organe und dreht die Hähne auf, damit das Blut wieder durch die infolge des plötzlichen Blackouts kollabierten Adern fließen kann. Er befiehlt ihm, die Augenzu öffnen, aber es gelingt ihm nicht, die Lider zu heben. Eine seltsame, leichte Bewegung gleitet über seine Stirn wie schmirgelnder Schleim, der ihn auf der wunden Haut kratzt. Erneut versucht er, die Lider zu heben, vergeblich. Sie sind bleischwer wie Vorhänge aus Leder. Schreie aus der Unterwelt drücken die Wände seines Schädels von außen nach innen. Er spürt die Erschütterung in den Schläfen, und seine Augäpfel fühlen sich in den Höhlen an wie schwimmende Eiswürfel in einem Glas. Derjenige, der in seinem Schädel sitzt, sucht nach Auswegen. Er reist durch das Innere seines hohlen Körpers, bis er die Fingerspitzen erreicht. Er traktiert sie mit Fußtritten und Stromschlägen, ohne die geringste Regung zu erzielen. Die warme Schmirgelmasse läuft ihm übers Gesicht und breitet sich über Zähne und Zahnfleisch aus. Endgültig in seinem Kopf gefangen, bleibt ihm nur noch das Warten auf den Tod. Er vernimmt das Geläut von in Fett getauchten Glocken. Von sich nähernden Schritten, gehetzt und schwerfällig. Jemand hat seinen Körper entdeckt und kann ihm vielleicht ein Begräbnis bereiten. Wie schrecklich sein Siechtum auch sein mag, so werden ihn wenigstens nicht die Hunde fressen. Ein Tod durch schmutzige Bisse in die Finger und Zehenglieder. Mit Stumpf und Stiel ausgerissen und an Ort und Stelle zerkaut. Anschließend die Handflächen. Die Zungenspitzen lecken die Zwischenräume zwischen den dicken Daumensehnen ab. Das Knacken der Speiche wie ein dumpfes, knöchernes Feuerwerk. Die zersplitterten Knochen frei schwebend in den
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