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Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesus Carrasco
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Biegung vor, in der sich das Karnickel versteckt hielt, schnappte nach ihm, bis das Kaninchen aus einem der Löcher nach draußen floh. Dort verfing das Tier sich dann in dem an den Enden festgebundenen Netz und schleifte es mit, darin gefangen wie in einem Beutel.
    Er hatte sich vorgestellt, wie er anschließend im Schein eines Feuers ähnlich dem, das der Ziegenhirt entfacht hatte, seine Beute aufspießte und in der lauen nächtlichen Brise unter dem Sternenhimmel briet. Aber weder hatte er bedacht, dass er auch Wasser brauchte, noch wo er es finden würde. Er hatte sich ganz einfach keinen Wegeplangemacht. Seine geistige Landkarte endete an den Grenzlinien des Olivenhains nördlich des Dorfes. Jenseits dieses Landstreifens kannte er sich nicht mehr aus. Er hatte sich vorgestellt, hinter den Hügeln gäbe es unzählige weitere Olivenhaine, in denen er von Baumstamm zu Baumstamm, von einem Schatten zum nächsten marschieren könnte, bis er auf einen Ort stoßen würde, an dem es sich gut leben ließe. Doch jenseits des letzten Olivenbaums hatte ihn die trostlose Ebene erwartet, in der er jetzt festsaß. Er wusste nicht genau, wie weit er sich bereits vom Dorf entfernt hatte, und die Einzigen, die ihm diese Frage beantworten konnten, waren seine Verfolger oder der Alte, der kaum ein Wort sprach.
    Der Hirte beendete seine Mahlzeit mit einem zähen Käsekeil, auf dem er herumkaute. Als er fertig war, stand er auf und ging zu dem Jungen. Er schnitt noch ein Stück Käse ab und reichte es ihm, ohne ihn anzublicken. Der Junge streckte die Hand aus und führte das Dreieck zum Mund. Der Alte machte kehrt und begann die Satteldecke des Esels um die erloschene Feuerstelle herum auszubreiten. Dann kramte er aus der Hirtentasche ein paar gelbliche Stockfischstreifen hervor. Nachdem er die gröbsten Sandkörner mit der Hand abgewischt hatte, legte er die Streifen in eine Schale, die er mit Wasser füllte. Als befände er sich allein auf der Welt, furzte er anschließend mehrmals völlig ungeniert und legte sich schlafen. Der Junge dachte, dass der Hirte plötzlich schrecklich müde wirkte, und beobachtete, wie schwerfällig er sich niederließ und sich abmühte, seinen knochigen Körper auf den Kieselsteinen auszustrecken.
    Nach dem Abendessen blieb der Junge noch eine ganze Zeit lang auf dem Stein sitzen, als sei er erneut in einem Haus mit strengen Reglements gelandet und warte auf die Erlaubnis oder den Befehl, zu Bett zu gehen. Jenseits der Feuerstelle verschmolzen die Schnarchgeräusche des Alten mit dem Gesang der Zikaden und Grillen. Einige Meter über dem Boden wiegten sich die Blätter in der nächtlichen Brise, und der Junge schaute ihnen zu, wie sie über dem Haufen toter Wedel tanzten, die schlaff am Stamm herabhingen. Er blickte sich in der Umgebung um und hob einen Finger auf der Suche nach einer Brise, die er nicht fand. Er dachte, in der Höhe, die die Palmenspitze erreichte, herrsche sicherlich ein frischerer Luftzug als unmittelbar über dem Erdboden, und irgendeinen Grund müsse es wohl geben, weshalb die Palme diese wohltuende Brise verdient habe. Als er nach seiner wächsernen Maske tastete, fühlte sich seine Haut darunter wieder warm und viel weicher an. Irgendetwas musste er getan haben, weshalb er seinen Sonnenbrand, seinen Hunger und seine Familie verdient hatte. Etwas Schlimmes, wie der Vater ihm ständig vorwarf.
    Geweckt wurde er von dem Hund, der bei Tagesanbruch mit feuchter Schnauze seinen Hals beschnupperte. Der Umschlag hatte sich im Laufe der Nacht abgelöst und lag nun als stinkendes Bündel neben seinem Kopf. Er betastete sein Gesicht und bemerkte ein paar Brandblasen auf den Wangen. Die Haut spannte nicht mehr ganz so sehr wie am Vortag, aber sie fühlte sich immer noch verkrustet an. Der Ziegenhirt saß an derselben Stelle, an derer zu Abend gegessen hatte, und kaute an einem Stück Stockfisch, von dem weißer Saft herabtropfte. Der ledernen Weinflasche ging er mit ausgiebigen Schlucken zu Leibe. Der Junge setzte sich auf und suchte den Blick des Alten, der ihn jedoch nicht beachtete. Neben ihm die Schale, die er am Vorabend geleert hatte, wieder aufgefüllt mit einem Brei aus Brotkrumen und frisch gemolkener Milch. Er nahm das Gefäß in beide Hände und spürte die Wärme des Holzes. Erneut suchte er den Blick des Hirten, und obwohl er wusste, dass er ihn nicht anschauen würde, erhob er die Speise in seine Richtung als Zeichen des Dankes.
    Während des Frühstücks schaute er zum ersten

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