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Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesus Carrasco
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beschloss, lieber die Flaschen zu füllen, ohne den Krüppel aus den Augen zu lassen, und dorthin zurückzukehren, woher er gekommen war.
    »Das Gebäck enthält auch Mandeln und Zucker.«
    Er folgte ihm über die sandige Dorfstraße. Der Mann stieß sich mit zwei Holzstöcken vorwärts, die er trotz der fehlenden Finger fest umklammert hielt. Auf halbem Weg blieb er in einem Sandloch stecken und musste zurücksetzen, um das Hindernis zu umrunden.
    »Manchmal spanne ich das Schwein an, damit es den Karren zieht. Das geht viel besser. Sich auf diese Art vorwärtszubewegen,schadet Händen und Armen. Was gäbe ich nicht für einen Esel wie deinen.«
    Der Junge stellte sich ein Schwein mitsamt Geschirr und Zaumzeug vor und hintendran den Mann auf seinem rollenden Brett wie beim Trabrennen. Es war vier Winter her, dass er zum letzten Mal ein Schwein gesehen hatte. Sein Vater hatte es zusammen mit einem Mann aus dem Dorf geschlachtet. Seine Mutter hatte Wurst hergestellt, während er und sein Bruder mit den Händen das Blut umgerührt hatten.
    An der Frontseite des Hauses gab es einen windschiefen Laubengang, unter dem, laut Aussage des Krüppels, früher immer die Maultiertreiber Platz genommen hatten. Zu beiden Seiten des Eingangs ein Fenster, davor jeweils eine Bank aus Bruchstein. Die geschlossenen Fensterläden waren grün gestrichen, in der Mitte ein ausgefräster Rhombus mit Löchern. Im Inneren des Hauses war es so düster, dass der Junge durch die offene Eingangstür nichts erkennen konnte. Während der Krüppel mit seinem Gefährt hineinfuhr und im Dunkeln verschwand, band der Junge den Esel an einem Eisenring neben einer der Fensterbänke fest. Er griff sich seinen Proviantsack, der am Sattel hing, und warf, bevor er eintrat, noch einen Blick auf das bepackte Tier. Auch wenn er nur kurz zum Essen Halt machte, dachte er, sollte er es doch von seiner Last befreien. Er versuchte, ob er eine der Flaschen anheben konnte, und obwohl es ging, fürchtete er, sobald er sie hochnähme, würde das Gewicht der am anderen Seilende hängenden Flasche den Esel aus dem Gleichgewicht bringen. Als er sich seine immer nochmit Dung verdreckten Stiefel besah und dann seine Fingerknöchel, fiel ihm sein schmerzender Arm ein und dass der Esel ihn stundenlang in der Sonne hatte schmoren lassen. »Dein Problem«, dachte er.
    Der Krüppel erschien in der Tür.
    »Kommst du nun rein oder nicht?«
    Der Junge nickte. Als der Mann wieder im Haus verschwand, ging er zögernd zur Tür. Auf der Schwelle schlug ihm aus dem Halbdunkel eine nach Fleisch duftende Kühle entgegen. Von der Tür gelangte er unmittelbar in einen großen Wohnraum, nur von dem schmalen, durch die Türöffnung eindringenden Lichtstreifen erhellt. Es roch nach morschem Holz und getrockneten Gedärmen vom Wurstmachen. In der Luft ein Hauch von süßem Öl und Essig. Als der Krüppel die Fensterläden am anderen Ende des Wohnraums öffnete, ließ das einfallende Licht die Details aus den dunklen Nischen hervortreten. Fleischwürste, Schöpfkellen, geräucherte Schweinsrippchen und eine getrocknete Schweinemaske kamen zum Vorschein. Weiter hinten mehrere große Mehlsäcke und ein Fass. Ein Vorratsschrank mit Mandeln und Weinflaschen. Ein runder Holzbehälter mit gesalzenen Sardinen, wie Fahrradspeichen angeordnet, und mehrere an einer Stange hängende Stockfische. Obendrein Säcke mit getrockneten Kastanien und Zucker, dahinter eine halb angelehnte Tür mit einem Vorhang, der noch mehr Vorräte versprach.
    »Ich verkaufe Lebensmittel an Reisende.«
    Der Junge löffelte einen leicht nach ranzigem Fett schmeckenden Eintopf mit Bohnen und Kohl. Den Emailleteller wischte er mit Kleiebrotstücken aus. Als er um Wasser bat, sagte ihm der Krüppel, das Wasser aus der Tonne sei noch nicht trinkbar. Um nicht warten zu müssen, bis das Wasser gekocht und wieder abgekühlt war, trank er zum Essen ein halbes Glas Landwein, das der Mann ihm bereitwillig brachte. Zum Nachtisch gab es Schmalzgebäck, Datteln und gebrannte Mandeln.
    Während er gierig das Essen verschlang, erzählte der Mann ihm, die wenigen Bewohner, die im Dorf ausgeharrt hätten, seien abgewandert, als der Brunnen aufgehört habe, gutes Wasser zu liefern. Er sprach auch vom regen Reiseverkehr auf der Route, die durchs Dorf und an der Herberge vorbeiführte. Früher habe sie sein Bruder geführt, der mit seiner Frau und den beiden Söhnen auch hier gewohnt hatte. Zu Beginn der großen Dürre hätten sie ihm erklärt, sie

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