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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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uns liegt, Manchee hechelt etwas abseits davon hinter uns her, und ich muss an Ivan denken, den Mann in der Scheune von Farbranch, der sagte, dass nicht alle das Gleiche über die Vergangenheit denken, dass Pren..., dass meine Stadt noch immer Verbündete hat. Vielleicht nicht Tausende, aber täglich mehr. Dann wird die Armee größer und größer, bis es so viele sind, dass sich keiner mehr gegen sie auflehnen kann.
    »Wir fahren nach Haven«, sagt die Frau. »Die Leute dort werden uns beschützen.«
    »Haven«, murmle ich leise vor mich hin.
    »Die Leute dort sollen sogar ein Mittel gegen den Lärm haben«, sagt die Frau. »Na, das wär mal was, das möcht ichsehen.« Sie lacht laut. »Oder lieber hören, hm?« Sie klatscht sich auf die Schenkel.
    »Gibt es dort Spackle?«, frage ich.
    Die Frau sieht mich überrascht an. »Spackle gehn nich in die Nähe von Menschen«, sagt sie. »Jetzt nich mehr, nich seit dem Krieg. Sie bleiben unter sich und wir unter uns, und das sichert den Frieden.« Es klingt, als hätte sie den letzten Satz auswendig gelernt. »Aber es gibt sowieso kaum noch welche.«
    »Ich muss gehen.« Ich stütze mich mit den Händen ab und will aufstehen. »Ich muss sie finden.«
    Aber ich verliere das Gleichgewicht und falle vom Wagen herunter. Die Frau ruft Wilf zu, dass er anhalten soll, und beide heben mich wieder auf den Karren, die Frau hebt auch Manchee hinauf. Sie schiebt ein paar Kisten beiseite, damit ich mich hinlegen kann, und Wilf fährt wieder los. Er schlägt ein bisschen fester mit der Peitsche auf die Ochsen ein, und ich merke, dass wir schneller fahren, schneller jedenfalls, als ich laufen kann.
    »Iss«, sagt die Frau und hält mir ein paar Scheiben Brot vors Gesicht. »Ohne was zu essen, schaffst du’s nirgendwohin.«
    Ich nehme das Brot und beiße hinein, dann schlinge ich den Rest so hungrig hinunter, dass ich sogar vergesse, Manchee davon etwas abzugeben. Aber die Frau holt noch mehr Brot hervor und gibt uns beiden davon, mit großen Augen verfolgt sie jede meiner Bewegungen.
    »Danke«, sage ich.
    »Ich bin Jane.« Ihre Augen sind immer noch so groß, sie scheint förmlich darauf zu brennen, etwas loszuwerden. »Haste die Armee gesehen?«, fragt sie. »Mit eignen Augen?«
    »Ja«, sage ich. »In Farbranch.«
    Sie holt tief Luft. »Dann isses also wahr.« Es ist eine Feststellung, keine Frage.
    »Hab der doch gesagt, es is wahr«, ruft Wilf vom Bock her. »Es heißt, sie schlagen Leuten die Köpfe ab und kochen die Augen«, sagt Jane.
    »Jane!«, blafft Wilf sie an.
    »Ich sag doch nur.«
    »Sie töten Menschen«, sage ich leise. »Das ist genug.«
    Janes Augen wandern über mein Gesicht und suchen in meinem Lärm, aber dann sagt sie nur: »Wilf hat mir alles erzählt von dir«, und ich weiß beim besten Willen nicht, was ihr Lächeln zu bedeuten hat.
    Ein Tröpfchen aus dem Lumpenverband schafft es bis zu meinem Mund, ich würge und speie und huste. »Was ist das ?« Ich drücke mit dem Finger gegen den Lumpen und zucke zusammen, so widerlich ist der Gestank.
    »Ein Umschlag«, sagt Jane. »Gegen Fieber und Schüttelfrost.«
    »Es stinkt.«
    »Böser Gestank vertreibt böses Fieber«, erwidert sie in einem Ton, als wüsste das jedes Kind.
    »Böse?«, frage ich. »Fieber ist nicht böse. Fieber ist einfach Fieber.«
    »So isses. Und Umschläge vertreiben es.«
    Ich starre sie an. Und weil sie ihre Augen gar so weit aufreißt, fühle ich mich allmählich unbehaglich. Genauso schaut auch Aaron, wenn er einen zu Boden drückt, so schaut er, wenn er predigt, wenn er einem die Predigt mit den Fäusten einbläut, dass man sich in einem Mauseloch verkriechen und niemals mehr rauskommen möchte.
    Es ist der Blick einer Irren, wird mir klar.
    Ich versuche herauszufinden, was sie denkt, aber Jane lässt sich nicht anmerken, ob sie meinen Gedanken gehört hat.
    »Ich muss gehen«, sage ich wieder. »Danke für Essen und Umschläge, aber ich muss jetzt weiter.«
    »Du kannst nicht einfach gehen, hier in den Wäldern, was glaubst du denn?« Sie starrt mich immer noch an, ohne einmal mit der Wimper zu zucken. »Sind gefährliche Wälder hier, sehr gefährlich.«
    »Wieso sind die Wälder gefährlich?« Ich rücke ein Stückchen von ihr weg.
    »Da gibt’s Dörfer«, sagt sie, die Augen noch weiter aufgerissen als sonst und mit einem Lächeln, als könne sie es nicht abwarten, mir davon zu erzählen. »Die Leute dort sind verrückt wie sonst noch was. Der Lärm hat ihren Verstand geholt. Hab

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