Die Flucht
Mittag, der Mittag zum Nachmittag. Ich schlucke Tabletten, wir laufen weiter, kein Essen, keine Pause, einfach vorwärts, vorwärts, immer nur vorwärts. Der schmale Weg führt wieder bergab, wenigstens das. Aarons Witterung ist jetzt näher an der Straße, aber ich fühle mich so schlecht, dass ich nicht einmal aufschaue, als ich in der Ferne hin und wieder Lärm vernehme.
Es ist nicht sein Lärm, und da ist auch keine Stille, die zu ihr gehört, also weshalb soll ich mich beunruhigen?
Aus Nachmittag wird Abend, und wir steigen gerade einen steilen Bergabhang hinunter, als ich stürze.
Meine Beine rutschen weg, und ich bin nicht schnell genug, um mich festzuhalten, ich stürze, rutsche, pralle gegen Büsche, werde schneller, spüre ein Reißen im Rücken, und ich streckedie Hand aus, damit ich mich festhalten kann, aber meine Hände sind zu langsam, um irgendetwas zu greifen, und ich schlittere, schlittere, schlittere durch Laub und Gras, und dann pralle ich gegen ein Hindernis, werde in die Luft geschleudert, komme auf meinen Schultern auf, Schmerzen rasen hindurch, ich schreie laut auf und falle immer weiter, bis ich schließlich in ein Brombeergebüsch krache.
»Todd! Todd! Todd!«, höre ich Manchee, der mir hinterherrennt, aber alles, was ich tun kann, ist, den Schmerz ein weiteres Mal auszuhalten, die Müdigkeit auszuhalten, den Schleim in meiner Lunge auszuhalten und den Hunger, der an meinen Eingeweiden nagt. Die Brombeerdornen kratzen mich am ganzen Körper, und ich würde weinen, wenn ich nur die Kraft dazu hätte.
»Todd?« Manchee springt aufgeregt hin und her und versucht, sich einen Weg zu mir zu bahnen.
»Lass mir eine Minute Zeit«, sage ich und stütze mich auf. Aber dann falle ich gleich wieder hin, vornüber, auf mein Gesicht.
Steh auf, denke ich, steh auf, du Drecksack, steh endlich auf!
»Hunger, Todd!«, sagt Manchee und meint damit, dass ich derjenige bin, der Hunger hat. »Essen. Essen, Todd.«
Ich stütze mich mit den Händen am Boden ab, huste, während ich mich langsam aufsetze, spucke mehrere Handvoll Schleim aus. Nach einer Weile habe ich es bis auf die Knie geschafft.
»Essen, Todd.«
»Ich weiß«, sage ich. »Ich weiß.«
Mir ist so schwindlig, ich muss meinen Kopf wieder auf denBoden legen. »Lass mir noch eine Sekunde Zeit«, sage ich, flüstere es eigentlich nur in das Laub am Boden. »Nur eine winzige Sekunde.«
Und ich stürze wieder in ein schwarzes Loch.
Ich weiß nicht, wie lange ich ohnmächtig gewesen bin, aber ich wache auf, als Manchee bellt.
»Leute!«, bellt er. »Leute! Todd, Todd, Todd! Leute!« Ich schlage die Augen auf. »Was für Leute?«, frage ich. »Dort«, bellt er. »Leute. Essen. Essen. Todd. Essen!« Ich atme flach, huste in einem fort, mein Körper wiegt neunzig Millionen Pfund, und ich krieche auf der anderen Seite aus dem Gestrüpp. Ich hebe den Kopf, sehe mich um. Ich liege in einem Graben, gleich neben der Straße.
Links sehe ich Karren, in einer langen Reihe, gezogen von Ochsen und Pferden, wie sie einer nach dem anderen hinter einer Kurve verschwinden.
»Hilfe!«, krächze ich, aber meine Stimme ist nur ein Röcheln, nicht laut genug, wer soll das schon hören.
Steh auf.
»Hilfe«, rufe ich wieder, aber nur ich allein höre es. Steh auf.
Es ist aus. Ich kann nicht mehr stehen. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Es ist aus.
Steh auf.
Es ist aus.
Der letzte Wagen verschwindet hinter der Biegung und es ist aus.
Gib auf.
Ich lasse den Kopf auf die Straße sinken, Kies und Steine bohren sich in meine Wange. Ein Schauder packt mich, ichwälze mich auf die Seite, ich rolle mich zusammen, ziehe die Beine an die Brust. Ich habe wieder versagt, ich habe versagt, und bitte, lass mich nicht einfach in der Dunkelheit versinken, bitte, bitte, bitte ...
»Bist du es, Ben?«
Ich öffne die Augen.
Es ist Wilf.
28
Der Geruch nach Wurzeln
»Alles in Ordnung, Ben?«, fragt er und greift mir unter die Achsel, um mir beim Aufstehen zu helfen, aber sogar mit seiner Hilfe kann ich kaum stehen, geschweige denn den Kopf ein Stückchen heben, deshalb packt er mich auch noch mit der anderen Hand. Aber selbst das reicht nicht, also geht er noch einen Schritt weiter und wuchtet mich über seine Schulter. Ich schaue nach unten, sehe Beine von hinten, während er mich zu seinem Wagen trägt.
»Wer isses, Wilf?«, höre ich eine Frauenstimme fragen. »Ben«, antwortet Wilf. »Schlimm beinander.«
Das Nächste, was ich mitbekomme, ist, dass er mich auf
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