Die Flucht
ich meinen Pa niemals kannte, aber wenn ich eines Tages aufwachen würde und mir einen Vater aussuchen dürfte, wenn jemand käme und zu mir sagte, hier, Junge, nimm dir,wen du willst zum Vater, dann wäre Ben gewiss keine schlechte Wahl.
Er pfeift vor sich hin, während Manchee und ich auf ihn zulaufen, und obwohl weder ich ihn noch er mich sehen kann, stimmt er eine andere Melodie an, sobald er meine Anwesenheit spürt, eine Melodie, die ich kenne, Frü-ü-üh am Mo-horgen, wenn die So-ho-honn aufgeht , er sagt, es sei das Lieblingslied meiner Ma gewesen, aber ich glaube, es ist eigentlich sein Lieblingslied, denn er pfeift und singt es mir vor, seit ich denken kann. Mein Blut kocht noch wegen des Streits mit Cillian, aber bei Bens Lied werde ich ruhiger.
Obwohl es natürlich nur ein Kinderlied ist, ich weiß, halt die Klappe.
»Ben!«, bellt Manchee und flitzt um die Bewässerungsanlage herum.
»Hallo, Manchee«, höre ich, als ich um die Ecke biege. Da ist Ben und er krault Manchee hinter den Ohren. Der Hund hat die Augen geschlossen und scharrt vor Vergnügen, und obwohl Ben aus meinem Lärm weiß, dass ich wieder mit Cillian gestritten habe, sagt er nichts, nur: »Hallo, Todd.«
»Hi, Ben.« Ich schaue zu Boden, trete mit dem Fuß gegen einen Stein.
Bens Lärm sagt Äpfel und Cillian und Wie groß du schon geworden bist und wieder Cillian und mich juckt’s unter der Achsel und Äpfel und Abendessen und Mensch, ist das eine Hitze , und das alles ist so lässig und so selbstverständlich, wie wenn man sich an einem heißen Tag an einem kühlen Bach ausruht.
»Na, ist der Zorn verraucht, Todd?«, fragt er schließlich. »Sagst du dir vor, wer du bist?«
»Ja«, antworte ich, »aber warum muss er immer so über mich herfallen? Warum kann er nicht einfach Hallo sagen? Nur einmal ein freundliches Wort und nicht immer: ›Ich weiß, dass du etwas angestellt hast, und ich werde dich nicht in Ruhe lassen, bis ich rausgekriegt habe, was es ist.‹
»Das ist nun mal seine Art, Todd. Das weißt du doch.«
»Das sagst du jedes Mal.« Ich zupfe einen Halm aus einer jungen Weizenähre und stecke ihn zwischen die Zähne.
»Hast du die Äpfel im Haus gelassen?«
Ich schaue ihn an. Kaue auf dem Halm. Er weiß, dass ich sie nicht dort gelassen habe. Er kennt mich zu gut.
»Und du hast auch einen Grund dafür«, sagt er und krault Manchee weiter geduldig hinter den Ohren. »Es gibt einen Grund dafür, auch wenn ich ihn noch nicht klar genug erkenne.« Er versucht, in meinem Lärm zu lesen, schaut, was er an Wahrem herausziehen kann. Die meisten Männer sind der Ansicht, dass solche Aushorcherei eine Tracht Prügel rechtfertigt, aber bei Ben macht es mir nichts aus. Er legt den Kopf in den Nacken und hört auf, Manchee zu kraulen. »Hat es etwas mit Aaron zu tun?«
»Ja, ich habe ihn getroffen.«
»War er es, der dir die Lippe blutig geschlagen hat?« »Ja. «
»Der Hurensohn.« Er zieht die Stirn in Falten und macht einen Schritt auf mich zu. »Vielleicht sollte ich mal ein Wörtchen mit ihm reden.«
»Tu’s nicht«, bitte ich. »Tu’s nicht! Das gibt nur noch mehr Ärger und es tut ohnehin schon so weh.«
Er legt mir die Finger unters Kinn und hebt meinen Kopf leicht an, damit er die Wunde besser betrachten kann. »DerHurensohn«, sagt er wieder, ganz leise. Mit den Fingerspitzen streicht er über die Wunde und ich zucke zusammen.
»Es ist nicht schlimm«, sage ich.
»Nimm dich vor diesem Menschen in Acht, Todd Hewitt.« »Meinst du, ich bin durch den Sumpf gerannt, weil ich ihm in die Arme laufen wollte?«
»Er hat Unrecht mit dem, was er sagt.«
»Heilige Scheiße, vielen Dank, dass du mir das sagst, Ben«, erwidere ich und dann fange ich etwas von seinem Lärm auf, ein Körnchen, das sagt einen Monat , und es ist etwas Neues, etwas ganz Neues, was er schnell mit anderem Lärm zu ersticken versucht.
»Was ist los, Ben?«, frage ich sofort. »Was ist da los an meinem Geburtstag?«
Er lächelt, und eine Sekunde lang scheint sein Lächeln besorgt, aber danach ist es so unbeschwert wie immer. »Es ist eine Überraschung«, sagt er, »also sei nicht so neugierig.«
Obwohl ich beinahe ein Mann und inzwischen fast so groß wie er bin, beugt er sich ein kleines Stück zu mir herab, sodass wir uns direkt in die Augen sehen können, aber nicht so nahe, dass es unangenehm wäre, gerade so nahe, dass ich mich nicht bedrängt fühle. Ich weiche seinem Blick aus. Und obwohl es Ben ist, obwohl ich Ben mehr vertraue
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