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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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gesehen, Dinge, die keinen Sinn für mich ergaben.«
    »Er ist verrückt«, sage ich. »Verrückter als die anderen.« Sie schweigt und starrt in den Wasserfall.
    Und dann greift sie nach meiner Hand.
    »Todd Hewitt!«
    Ich spüre, wie ihre Hand in dem Augenblick zusammenzuckt, als mein Herz einen Satz macht.
    »Das war näher an uns dran«, sagt sie. »Er kommt näher.« »Er wird uns nicht finden.«
    »Er wird.«
    »Dann werden wir mit ihm fertig werden.«
    Wir betrachten das Messer.
    »Todd Hewitt!«
    »Er hat den Eingang gefunden«, sagt sie und drückt meinen Arm ganz fest.
    »Noch nicht.«
    »Wir waren beinah am Ziel«, schluchzt sie und fast versagt ihr die Stimme. »Beinahe.«
    »Wir werden es erreichen.«
    »Todd Hewitt!«
    Kein Zweifel, es tönt jetzt viel lauter.
    Er hat den Tunnel gefunden.
    Ich umklammere mein Messer und beobachte Viola. Sie lässt den Tunnel nicht aus den Augen, und aus ihrem Blick spricht so viel Angst, dass mir die Brust wehtut.
    Ich packe das Messer fester.
    Wenn er sie auch nur anrührt ...
    Mein Lärm kehrt dahin zurück, wo unsere Reise begonnen hat: zu Viola, noch ehe sie ein Wort gesprochen hat, zu Viola, als sie mir schließlich ihren Namen sagte, zu Viola, als sie mit Tam und Hildy sprach, als sie Wilfs Aussprache nachmachte, als Aaron sie verschleppte, als ich in Doktor Snows Haus erwachte, als sie Ben ihr Versprechen gab, als sie mit der Stimme meiner Mutter sprach und damit die Welt für mich veränderte, wenn auch nur für eine kleine Weile.
    Mein Lärm kehrt zurück zu allem, was wir gemeinsam durchlitten haben.
    Wie sie weinte, als wir Manchee zurücklassen mussten. Wie sie mir sagte, ich sei alles, was sie hat auf dieser Welt. Wie ich feststellte, dass ich ihre Gedanken lesen konnte, Stille hin oder her.
    Wie ich glaubte, Aaron habe sie erschossen.
    Wie ich mich fühlte in diesem entsetzlichen Augenblick.
     
    Wie es wäre, wenn ich sie verlöre.
    Der Schmerz und die Ungerechtigkeit.
    Die Wut.
    Wie ich wünschte, ich wäre an ihrer Stelle.
    Ich betrachte das Messer in meiner Hand.
    Und ich erkenne, dass sie Recht hat.
    Ich erkenne, was schon immer feststand, so verrückt es klingen mag.
    Sie ist nicht das Opfer.
    Sie ist es nicht.
    Wenn einer von uns fällt, fallen wir alle.
    »Ich weiß jetzt, was er will«, sage ich und stehe auf. »Was ?«, fragt Viola.
    »Todd Hewitt!«
    Kein Zweifel, er kommt jetzt durch den Tunnel.
    Wir können nirgendwohin fliehen.
    Er kommt.
    Auch Viola steht nun auf. Ich stelle mich zwischen sie und den Tunnelausgang.
    »Kriech hinter eine Bank«, sage ich. »Versteck dich.« »Todd ...«
    Ich gehe von ihr weg, meine Hand ruht auf ihrem Arm, solange es geht.
    »Wo willst du hin?«, fragt sie. Ihre Stimme klingt gepresst. Ich schaue zurück in den Tunnel aus Fels und Wasser. Jede Sekunde wird er hier sein.
    »Todd Hewitt!«
    »Er wird dich sehen«, sagt sie.
    Ich halte das Messer vor mich ausgestreckt.
    Das Messer, das uns so oft in Schwierigkeiten gebracht hat. Das Messer, das solch große Macht besitzt.
    »Todd!«, ruft Viola. »Was hast du vor?«
    Ich drehe mich zu ihr um. »Er wird dir nichts tun«, sage ich. »Nicht, wenn er weiß, dass ich weiß, was er will.«
    »Und was will er?«
    Ich betrachte sie aufmerksam, wie sie da zwischen den Bänken steht und der weiße Planet und die beiden Monde auf sie herabscheinen und wie das Wasser schlieriges Licht über sie breitet.
    Ich schaue aufmerksam in ihr Gesicht, achte auf die Sprache ihres Körpers, als sie dasteht und mich anblickt, und ich erkenne, dass ich noch immer weiß, wer sie ist, dass sie noch immer Viola Eade ist, dass ihre Stille sich nicht aus Leere speist und dem auch nie so war.
    Ich blicke in ihre leuchtenden Augen.
    »Ich werde ihm wie ein Mann entgegentreten«, sage ich. Und obwohl es viel zu laut ist und sie meinen Lärm ganz bestimmt nicht hören und meine Gedanken ganz bestimmt nicht lesen kann, erwidert sie meinen Blick.
    Und ich sehe darin, dass sie verstanden hat.
    Sie richtet sich auf. »Ich werde mich nicht verstecken«, sagt sie. »Wenn du es nicht tust, dann will auch ich es nicht tun.« Mehr muss ich nicht wissen.
    Ich nicke.
    »Bereit?«, frage ich.
    Sie schaut mich an.
    Dann nickt sie, kurz und entschieden.
    Ich drehe mich zum Tunneleingang.
    Ich schließe die Augen.
    Ich atme tief durch.
    Und mit dem letzten Lufthauch in meiner Lunge und mit der Kraft des Lärms in meinem Kopf richte ich mich auf.
    Und ich schreie, so laut ich kann.
    »Aaron ! ! !«
    Ich mache

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