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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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ein Geräusch geweckt hat.
    Fremder Lärm.
    Erschrocken denke ich an die Männer, die uns womöglich aufgespürt haben, und springe auf ...
    Um gleich darauf zu sehen, dass es kein Mann ist.
    Es ist ein Cassor, er hat sich vor mir, Manchee und dem Mädchen aufgebaut und blickt auf uns herunter.
    Futter? , sagt sein Lärm.
    Wusste ich’s doch, dass es noch ein paar dieser Viecher in den Sümpfen gibt.
    Ich höre ein kurzes Keuchen, es kommt von der Stelle, wo sie schläft. Besser gesagt: nicht mehr schläft. Der Cassor dreht sich zu ihr um. Und dann ist Manchee da und bellt und bellt. »Fangen! Fangen! Fangen!« Der Hals des Cassors schwingt zurück in unsere Richtung.
    Stell dir den größten Vogel vor, den du dir denken kannst, stellt ihn dir so groß vor, dass er nicht mal mehr fliegen kann, wir sprechen hier von zweieinhalb oder sogar drei Metern, mit einem wahnsinnig langen, biegsamen Hals, der dir weit über den Kopf reicht. Der Vogel hat zwar noch Federn, aber sie sehen eher aus wie Fell, und die Flügel taugen im Grunde genommen nur noch dazu, die Beute zu umklammern. Tatsächlich sind es die Füße, vor denen du dich in Acht nehmen musst. Lange Beine, vom Rumpf abwärts bis zu den Klauenfüßen, deren Tritt dich, wenn du nicht aufpasst, mit einem Schlag ins Jenseits befördern kann.
    »Keine Angst«, sage ich beruhigend. »Sie sind gutmütig.«
    Klar sind sie das. Zumindest sagt man so. Es heißt, sie fressen Nagetiere und treten nur, wenn sie angegriffen werden. Unterlässt man diese Schikane, so behauptet jedenfalls Ben, sind sie freundlich und etwas einfältig und lassen sich sogarfüttern. Aber sie selbst schmecken auch gut, und beide Eigenschaften zusammen genommen waren auch der Grund, weshalb die ersten Siedler von Prentisstown so wild darauf waren, sie zu jagen, sodass zu der Zeit, als ich geboren wurde, meilenweit kein einziger Cassor mehr zu finden war. Wieder so etwas, was ich nur durch Videos oder aus dem Lärm erfahren habe.
    Die Welt wird größer und größer.
    »Fangen! Fangen!«, bellt Manchee und rennt im Kreis um den Cassor herum.
    »Beiß ihn bloß nicht!«, rufe ich warnend.
    Der Hals des Vogels schwingt hin und her wie eine Weinranke im Wind. Und wie eine Katze den Käfer lässt der Cassor Manchee nicht aus den Augen. Futter? , fragt sein Lärm immer wieder.
    »Kein Futter«, sage ich und sofort schwingt der lange Hals in meine Richtung.
    Futter?
    »Kein Futter«, wiederhole ich. »Nur ein Hund.«
    Hund? , denkt der Cassor und versucht Manchee mit dem Schnabel zu piksen. Das wirkt nicht sonderlich Furcht einflößend, eher wie das Schnappen einer Gans, aber Manchee ist nicht gerade begeistert, er macht einen Satz zur Seite und bellt und bellt und bellt.
    Ich muss lachen. Es ist so lustig.
    Da höre ich plötzlich ein kleines Lachen und es kommt nicht aus meinem Mund.
    Ich drehe mich um. Sie steht neben dem Baum und sieht zu, wie der Riesenvogel meinen dämlichen Hund herumscheucht, und lacht dabei.
    Sie lächelt.
    Sie bemerkt meinen Blick und verstummt sofort.
    Futter? , höre ich, und als ich mich umdrehe, sehe ich, wie der Cassor mit dem Schnabel in meinem Rucksack wühlt. »He!«, rufe ich und scheuche ihn weg.
    Futter?
    »Hier.« Ich hole ein kleines, in ein Tuch gewickeltes Stück Käse hervor, das Ben mir mitgegeben hat.
    Der Cassor riecht daran, beißt hinein und schlingt den Käse hinunter, sein langer Hals scheint dabei Wellen zu schlagen. Er klackert ein paarmal mit dem Schnabel, so wie ein Mensch sich die Lippen leckt. Aber dann schlägt sein Hals erneut Wellen, diesmal in die andere Richtung, dann hört man ein lautes Würgen, und dann kommt der Käse direkt auf mich zugeflogen, voller Speichel zwar, aber noch in einem Stück. Er klatscht gegen meine Wange und hinterlässt eine Schleimspur auf meinem Gesicht.
    Futter? , sagt der Cassor und stakst langsam in den Sumpf zurück, so als wären wir für ihn so uninteressant wie ein Baumblatt.
    »Fangen! Fangen!«, bellt Manchee hinter ihm her, folgt ihm jedoch nicht. Mit dem Ärmel wische ich den Schleim weg und merke, wie sie schmunzelt.
    »Findest du das etwa lustig?«, brumme ich. Sie gibt vor, nicht zu lächeln, aber sie tut es doch. Dann dreht sie sich um und hält ihre Tasche hoch.
    »Ja«, sage ich entschlossen, um wieder Herr der Lage zu sein. »Wir haben zu lange geschlafen. Wir müssen weiter.«
    Also setzen wir unseren Weg fort, ohne ein Wort, ohne ein Lächeln. Bald darauf ist der Boden nicht mehr so flach, aberetwas

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