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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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Schritt auf sie zu, sie macht noch viel schneller einen Schritt zurück. Ihre Tasche fällt zu Boden.
    »Es ist ...«, fange ich an, aber was soll ich sagen? Etwa: Ich habe mich geirrt, total geirrt, ich habe an jemand anderen gedacht?
    Das ist ja wohl das Dämlichste, was man sich ausdenken kann. Sie kann meinen Lärm hören, oder? Also weiß sie auch, wie ich mich abzapple und nach einer Ausrede suche, und auch wenn mein Lärm ein einziges Durcheinander ist, kriegt sie’s dennoch mit. Außerdem weiß ich inzwischen, dass man nichts mehr zurücknehmen kann, wenn es erst mal in die Welt hinausposaunt wurde.
    Verdammt. Verdammt und zur Hölle.
    »Verdammt!«, bellt Manchee.
    »Warum hast du nicht gesagt, dass du mich verstehst?«,
    schreie ich sie an und vergesse dabei völlig, dass sie ja bisher überhaupt noch nichts gesagt hat.
    Sie weicht noch etwas weiter zurück, hält die Hand vor den Mund und ihre Augen feuern Fragezeichen auf mich ab.
    Ich überlege, suche nach einer Antwort, irgendeiner Antwort, damit alles wieder gut wird, aber ich finde keine. Da ist nur mein Lärm und der ist voller Tod und Verzweiflung.
    Sie wirbelt herum und rennt los, den Hügel hinab, weg von mir, so schnell wie möglich.
    So ein Mist.
    »Warte!«, schreie ich und renne hinterher.
    Sie nimmt den Weg, den wir gekommen sind, über das schmale Feld, und verschwindet zwischen den Bäumen, aber ich bin dicht dran und Manchee hinter mir ebenfalls. »Bleib stehen!«, brülle ich. »Warte!«
    Aber warum sollte sie? Welchen Grund sollte sie haben, auf mich zu warten?
    Wirklich, sie ist erstaunlich schnell, wenn sie will.
    »Manchee!«, rufe ich. Er versteht sofort und rast wie der Blitz davon. Dabei kann sie mir ebenso wenig entwischen wie ich ihr. So unentrinnbar mein Lärm sie verfolgt, so laut ist ihre Stille vor mir, denn sogar jetzt, da sie weiß, dass sie sterben muss, schweigt sie wie ein Grab.
    »Bleib stehen!«
    Ich stolpere über eine Wurzel und lande schmerzhaft auf den Ellenbogen; mein Körper, der ohnehin schon an so viel Stellen wehtut, ächzt. Aber es hilft nichts, ich muss weiter. Ich muss aufstehen und ihr folgen.
    »Verdammt!«
    »Todd!«, höre ich Manchee bellen. Ich stapfe noch ein paarSchritte weiter, umrunde ein hohes und dichtes Gebüsch, und da seh ich sie auf einem großen flachen Felsblock sitzend, die Knie an die Brust gezogen und sie wiegt sich vor und zurück, vor und zurück. Ihre Augen sind riesig, aber so ausdruckslos wie immer.
    »Todd!«, bellt Manchee erneut, als er mich erblickt, dann springt er auf den Felsen und fängt an, sie zu beschnüffeln.
    »Lass sie in Ruhe, Manchee«, sage ich, aber er gehorcht nicht. Stattdessen schnüffelt er an ihrem Gesicht, leckt ein- oder zweimal darüber, dann hockt er sich hin und drängt sich gegen sie, während sie weiter vor- und zurückschaukelt.
    »Hör mal«, sage ich, aber natürlich habe ich keine Ahnung, was ich sagen könnte. »Hör mal ...« Mehr bringe ich nicht he raus.
    Ich stehe nur da, schnappe nach Luft und sage nichts mehr, und sie sitzt da, wiegt sich vor und zurück, so lange, bis mir nichts anderes mehr einfällt, als mich neben sie auf den Felsen zu setzen, allerdings mit etwas Abstand, aus Respekt vor ihr und zu meiner Sicherheit vermutlich. Sie wiegt sich und ich sitze da und bin ratlos.
    Etliche Minuten verstreichen so, etliche Minuten, in denen wir eigentlich fliehen müssten und während derer im Sumpf um uns herum die Zeit vergeht.
    Bis ich eine Idee habe.
    »Vielleicht stimmt’s ja auch gar nicht«, platze ich heraus. »Ich könnte mich doch gut irren, oder?« Ich schaue sie an und die Worte sprudeln hervor. »Man hat mich bei fast allem belogen, und wenn du mir’s nicht glaubst, kannst du meinen Lärm belauschen.« Ich springe auf und rede noch schneller. »Es hieß, es gäbe keine andere Siedlung. Prentisstown, so hießes, sei der einzige Ort auf diesem blöden Planeten. Aber da ist dieser Punkt auf der Landkarte! Also vielleicht ...«
    Ich überlege und überlege und überlege.
    »Vielleicht war der Bazillus ausschließlich in Prentisstown. Und wenn du nicht in der Stadt gewesen bist, hast du ihn nicht aufgeschnappt. Denn eines ist klar, ich höre bei dir absolut nichts, was nach Lärm klingt, und krank bist du auch nicht. Also ist vielleicht alles okay.«
    Sie schaut mich an, schaukelt weiter, und ich frage mich, was sie wohl denkt. »Vielleicht« ist nicht gerade ein tröstendes Wort, wenn der ganze Satz lautet: Vielleicht stirbst du

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