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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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schreie ich und stampfe auf. Stampfe und schreie, bis meine Stimme nur noch ein Krächzen ist. »Ich weiß nicht weiter! Ich weiß nicht weiter! Und es tut mir leid! Es tut mir leid, dass dir all diese schlimmen Dinge zugestoßen sind, aber ich weiß nicht, was ich tun soll, und hör endlich mit der verdammten Schaukelei auf!«
    »Schreien, Todd«, bellt Manchee.
    »Aaah!«, schreie ich und schlage die Hände vors Gesicht. Als ich sie wieder runternehme, ist alles beim Alten. Ich bin gerade dabei zu lernen, was es heißt, auf sich allein gestellt zu sein. Keiner macht irgendetwas für dich. Wenn du selbst nichts tust, bleibt alles so, wie es ist.
    »Wir müssen weiter.« So richtig wütend nehme ich meinen Rucksack. »Du hast dich bisher noch nicht angesteckt, also hältst du dich am besten von mir fern. Keine Ahnung, mehr weiß ich auch nicht, deshalb machen wir es einfach so.«
    Schaukel, schaukel, schaukel.
    »Wir können nicht zurück, also müssen wir weiter und damit basta.«
    Schaukel, schaukel.
    »Ich weiß genau, dass du mich verstehst!«
    Sie zuckt nicht einmal zusammen.
    Mit einem Mal bin ich todmüde. »Also gut«, seufze ich. »Ganz wie du willst. Dann bleib hier und schaukle weiter. Wen kümmert das schon? Wen, verdammt noch mal, kümmert auch nur irgendwas?«
    Mein Blick fällt auf das Buch. Blödes Ding. Aber es wurde für mich geschrieben, also bücke ich mich, hebe es auf, stecke es in den Plastikbeutel, stopfe es in den Rucksack und setzte ihn wieder auf.
    »Komm, Manchee.«
    »Todd?!«, bellt er und sein Blick springt zwischen mir und dem Mädchen hin und her. »Nicht weggehen, Todd.«
    »Sie kann ja mitkommen, wenn sie will«, sage ich zornig, »aber ...«
    Dabei weiß ich selbst nicht, was für ein Aber das sein soll. Aber was, wenn sie hierbleiben und sterben will? Aber was, wenn sie zurückgehen und von Prentiss junior geschnappt werden will? Aber was, wenn sie es riskiert, sich bei mir anzustecken, und am Lärm zugrunde geht?
    Was für eine bescheuerte Welt das ist.
    »Hey«, sage ich und versuche, ein wenig sanfter zu klingen, doch es hat keinen Zweck, mein Lärm ist so wütend laut. »Du weißt doch, wo wir hinwollen, nicht wahr? Zu dem Fluss zwischen den Bergen. Folg einfach dem Fluss, bis du auf eine Siedlung stößt, okay?«
    Vielleicht hört sie, was ich sage, vielleicht auch nicht.
    »Ich werde Ausschau nach dir halten«, versichere ich. »Ich kann verstehen, dass du mir nicht zu nahe kommen willst, aber ich behalte dich im Auge.«
    Dann stehe ich eine Minute lang da und warte darauf, dass sie begreift.
    »Okay dann«, sage schließlich. »Nett, dich kennengelernt zu haben.«
    Ich stapfe los. Bei den Büschen angelangt, drehe ich mich noch einmal um, ich will ihr eine letzte Chance geben. Sie hat sich nicht vom Fleck gerührt, sondern schaukelt und schaukelt.
    Das war’s dann. Ich gehe weiter. Manchee folgt mir widerwillig, dreht sich dabei ständig um und bellt immerzu meinen Namen: »Todd! Todd! Weggehen, Todd? Todd! Nicht weggehen, Todd!« Bis ich ihm einen Schlag gegen die Seite versetze. »Aua, Todd?«
    »Ich versteh’s auch nicht, Manchee, also hör auf mir Löcher in den Bauch zu fragen.«
    Wir gehen zurück, zwischen den Bäumen hindurch, bis zu der Stelle, wo der Morast in trockenen Untergrund übergeht, bis zu der Lichtung und dann die Anhöhe hinauf, wo wir unser Frühstück gegessen und uns an diesem schönen Tag erfreut haben, bis mir glorreicherweise einfiel, sie könne vom Tod bedroht sein.
    Die kleine Anhöhe, wo ihre Tasche achtlos hingeworfen auf dem Boden liegt.
    »Oh, verdammt noch mal!«
    Ich starre die Tasche einen Augenblick an und dabei jagt ein Gedanke den andern in meinem Kopf. Soll ich sie ihr bringen? Oder darauf hoffen, dass sie die Tasche selbst findet? Bringe ich sie in Gefahr, wenn ich es tue? Bringe ich sie in Gefahr, wenn ich es nicht tue?
    Die Sonne steht nun am Himmel, der blau schimmert wie frisches Fleisch. Die Hände in die Seiten gestemmt, lasse ich den Blick langsam schweifen, so wie Männer es tun, wenn sienachdenken. Ich blicke zum Horizont und dann wieder zum Weg, den wir gekommen sind. Der Dunst hat sich inzwischen fast verzogen und der Sumpfwald ist in helles Sonnenlicht getaucht. Von dieser Anhöhe aus kann ich das Gelände gut überblicken, das wir bis zur Besinnungslosigkeit durchwandert haben. Bei klarer Luft und mit einem richtig guten Fernglas könnte man vermutlich sogar die Stadt ausmachen.
    Mit einem richtig guten Fernglas.
    Mein

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