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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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sagt etwas darauf, und mich beschleicht das Gefühl, dass sie nur höflich sein wollen. Viola hat mich nicht mehr richtig angesehen, seit ich mich zwischen sie und Matthews Machete gestellt habe. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht so recht, wie ich mich verhalten soll.
    Also gehen wir einfach weiter.
    Farbranch besteht aus etwa sieben Häusern. Sie sind kleiner als die von Prentisstown, aber es sind Häuser, obgleich sie ganz anders aussehen und man fast meinen könnte, wir wären gar nicht mehr in New World.
    Das erste Gebäude, an dem wir vorbeikommen, ist eine kleine steinerne Kirche, sauber und einladend und so ganzanders als das düstere Gehäuse, in dem Aaron seine Predigten hält. Einige Schritte weiter befindet sich ein Gemischtwarenladen und daneben eine Mechanikerwerkstatt, obwohl ich nirgends größere Fahrzeuge sehe. Auch kein Atomkraftrad, nicht mal ein ausrangiertes. Das nächste Gebäude sieht aus wie eine Versammlungshalle, bei einem anderen deutet eine in die Tür geschnitzte Schlange auf einen Arzt hin, und zwei scheunengroße Gebäude scheinen Vorratslager zu sein.
    »Nicht sehr viel«, sagt Hildy. »Aber es ist ein Zuhause.«
    »Nicht für dich«, erwidere ich. »Du lebst weit draußen.«
    »Wie die meisten anderen Leute auch«, sagt Hildy. »Auch wenn man sich daran gewöhnt hat, ist es trotzdem angenehmer, nur den eigenen Lärm um sich zu haben. Hier ist zu viel Getöse.«
    Ich lausche, warte auf das Getöse, aber es ist nichts im Vergleich zu Prentisstown. Natürlich gibt es in Farbranch Lärm, die Männer gehen den üblichen, langweiligen Alltagsgeschäften nach, ihr Kopf schnattert bedeutungsloses Zeug: Hacken, hacken, hacken und Ich gebe dir allerhöchstens sieben fürs Dutzend und Hör doch nur, wie sie singt, hör doch und Heute Abend muss ich den Hühnerstall reparieren und Gleich fällt er runter und so weiter und so weiter. Das alles kommt mir so nebensächlich und harmlos vor, es ist wie ein wohliges Bad verglichen mit dem schwarzen Lärm, den ich gewöhnt bin.
    »Oh, manchmal wird er auch hier schwarz«, sagt Hildy. »Denn auch hier haben Männer ihre Launen. Und Frauen nicht weniger.«
    »Manche Leute würden es unhöflich nennen, den Lärm eines Mannes zu belauschen«, sage ich.
    »Stimmt, Frischling«, sagt Hildy schmunzelnd. »Aber du hast ja selbst gesagt, dass du noch keiner bist.«
    Wir überqueren die Hauptstraße und dabei begegnen wir ein paar Männern und Frauen, einige tippen grüßend an den Hut, als sie Hildy sehen, die meisten jedoch starren uns an.
    Ich starre zurück.
    Wenn man genau hinhört, hört man die Frauen fast genauso deutlich wie die Männer. Sie sind wie Felsen, über die der Lärm hinwegflutet, und wenn man erst einmal daran gewöhnt ist, filtert man ihre Stille heraus, sie ist in einzelnen, verstreuten Punkten, nicht viel anders als Viola und Hildy. Ich wette, wenn ich stehen bliebe, könnte ich ganz genau feststellen, wie viele Frauen in jedem Haus sind.
    Und was soll ich sagen? Mit dem Lärm so vieler Männer vermischt fühlt sich die Stille der Frauen nur halb so einsam an.
    Da bemerke ich zwei sehr kleine Menschen, die uns aus einem Gebüsch anstarren.
    Kinder.
    Kinder, kleiner als ich, jünger als ich.
    Die ersten Kinder, die ich je zu Gesicht bekommen habe.
    Eine Frau mit einem Tragekorb wird auf sie aufmerksam und scheucht sie mit einer Handbewegung fort. Sie runzelt die Stirn und gleichzeitig lächelt sie. Die Kinder verschwinden kichernd hinter der Kirche.
    Ich schaue ihnen nach und meine Brust wird eng. »Kommst du?«, ruft Hildy mich.
    »Gleich«, sage ich und starre auf die Stelle, an der die Kinder verschwunden sind. Schließlich gehe ich weiter, aber mein Kopf wendet sich immer wieder um.
    Kinder. Echte Kinder. Das ist ein Ort, an dem Kinder sicher sind, also könnte vielleicht auch Viola hier sicher sein, bei diesen freundlich wirkenden Männern und diesen Frauen und Kindern. Ich ertappe mich dabei, wie ich überlege, ob sie hier sicher wäre, auch wenn ich selbst es ganz offensichtlich nicht bin.
    Bestimmt wäre sie es.
    Ich blicke zu Viola hin und sehe gerade noch, wie sie ganz schnell wegschaut.
    Hildy führt uns zu dem Haus, das am weitesten von der Ortsmitte entfernt ist. Einige Stufen führen zum Vordereingang hinauf und an einem Pfosten flattert eine kleine Fahne im Wind.
    Ich bleibe jäh stehen. »Das ist das Haus des Bürgermeisters, stimmt’s?«
    »Stellvertretender Bürgermeister«, sagte Hildy und poltert die Stufen hinauf. »Und

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