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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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Frage schwingt Überraschung mit und ...
    ... und etwa auch Schmerz?
    »Wohl wahr, ich bringe euch zwei Frischlinge, einen Jungen und ein Mädchen«, sagt Hildy. »Sie wissen nicht, wohin. Also mach Platz, Matthew.«
    »Ich sehe keinen Jungen«, sagt Matthew mit blitzenden Augen. Er ist außerordentlich groß, hat Schultern wie ein Ochse und buschige Augenbrauen, die eher Verwirrung ausdrücken als Raffinesse oder Zorn. Trotzdem sieht er aus wie ein wandelnder, sprechender Gewittersturm. »Ich seh da einen Prentisstown-Mann. Einen Prentisstown-Mann mit Prentisstown-Dreck in seinem Prentisstown-Lärm.«
    »Nein, das stimmt nicht«, entgegnet ihm Hildy. »Hör genau hin.«
    Aber Matthews Lärm ist schon da, bedrängt mich, legt würgende Hände um meinen Hals, dringt in meine Gedanken ein, plündert sie. Sein Lärm ist zornig, fragend, schrill wie einFeuer und so flackernd, dass ich gar nichts von seinen Gedanken mitkriege.
    »Du kennst das Gesetz, Hildy«, sagt Matthew.
    Das Gesetz?
    »Das Gesetz ist für Männer«, sagt Hildy. Ihre Stimme bleibt dabei ganz ruhig, so als plauderten wir übers Wetter. Merkt diese Frau denn nicht, wie rot der Lärm dieses Mannes wird? Rot ist nicht die passende Farbe für eine Plauderei. »Der Kleine ist kein richtiger Mann.«
    »Ich habe noch achtundzwanzig Tage«, sage ich, ohne nachzudenken.
    »Deine Zahlenspielerei kannst du bleiben lassen, Junge«, stößt Matthew hervor. »Mir ist egal, wie viele Tage du noch vor dir hast.«
    »Immer mit der Ruhe, Matthew«, sagt Hildy schärfer, als mir lieb ist. Zu meiner Verblüffung sieht Matthew sie niedergeschlagen an und weicht einen Schritt zurück. »Der Junge ist aus Prentisstown abgehauen«, fährt sie etwas sanfter fort. »Er ist auf der Flucht.«
    Misstrauisch sieht Matthew zuerst Hildy, dann mich an. Schließlich lässt er die Machete sinken. Zumindest ein wenig. »Genau wie du«, sagt Hildy.
    Was?
    »Bist du etwa aus Prentisstown?«, platze ich heraus.
    Sofort ist das Buschmesser wieder oben. Matthew macht einen Schritt auf mich zu, so drohend, dass Manchee anfängt zu bellen. »Zurück! Zurück! Zurück!«
    »Ich komme aus New Elizabeth«, knurrt Matthew mit zusammengebissenen Zähnen. »Aber ganz bestimmt nicht aus Prentisstown, Junge. Merk dir das.«
    Inzwischen sehe ich klarer in seinem Lärm. Da ist von unglaublichen Erlebnissen die Rede, sie schwappen aus ihm hervor wie eine Flutwelle, die er nicht aufhalten kann, Taten, schlimmer als in den schlimmsten Videos, die Mr Hammar heimlich den ältesten, gewalttätigsten Jungs der Stadt gezeigt hat, wo Menschen tatsächlich zu sterben scheinen, auch wenn man’s nicht mit Sicherheit sagen konnte. Bilder und Wörter und Blut und Schreie und ...
    »Hör sofort auf damit!«, ruft Hildy. »Reiß dich zusammen, Matthew Lyle. Reiß dich gefälligst zusammen.«
    Matthews Lärm verklingt jäh, aber er ist noch da, schäumt, der Mann hat nicht so viel Selbstbeherrschung wie Tam, aber sehr viel mehr als jedermann in Prentisstown.
    Sobald ich an die Stadt denke, ist die Machete wieder oben. »Du wirst dieses Wort hier bei uns nicht mehr aussprechen, Junge«, blafft er mich an. »Nicht, wenn dir dein Leben lieb ist.«
    »Niemand bedroht meine Gäste in meiner Gegenwart«, sagt Hildy laut und deutlich. »Ist das klar?«
    Matthew schaut sie an, er nickt nicht, sagt nicht Ja, aber alle haben begriffen, dass er begriffen hat. Was nicht heißt, dass es ihm passt. Sein Lärm pikst mich und rempelt mich an, würde mich am liebsten schlagen. Nach einer Weile nimmt er sich Viola vor.
    »Was ist das für eine?«, fragt er und deutet mit dem Buschmesser auf sie.
    Und dann, ich schwör’s, dann passiert es, ohne dass ich so recht weiß, wie.
    Gerade noch stehe ich etwas abseits und gleich darauf werfe ich mich zwischen Matthew und Viola und richte mein gezücktesMesser gegen ihn. Mein Lärm poltert wie eine Lawine und ich schreie Matthew an: »Weg von ihr, und zwar schnell!«
    »Todd!«, ruft Hildy.
    »Todd!«, bellt Manchee.
    »Todd!«, schreit Viola.
    Aber da bin ich, da bin ich mit dem Messer, und mein Herz trommelt wie verrückt, so als würde es erst jetzt begreifen, was ich gerade tue.
    Denn ich weiche nicht zurück.
    Was soll man, bitte, dazu sagen?
    »Nur zu, Prentiss-Junge«, knurrt Matthew und lässt das Buschmesser kreisen. »Komm, gib mir einen Grund ...« »Schluss jetzt!«, sagt Hildy.
    Diesmal ist eine solche Bestimmtheit in ihrem Ton, dass Matthew sich zurückzieht. Er umklammert seine

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