Die Fluchweberin
dieser Geschichte um mehr als ein Märchen handelte. Wenn ich ihm nun zu verstehen gab, dass die Legende, die sein Onkel ihm erzählt hatte, der Wahrheit entsprach, könnte ihn das erschrecken. Genug, um den Rest seiner Geschichte für sich zu behalten.
Mortens ahnte nichts von meinen Gedanken und auch nichts davon, wie wichtig seine Geschichte für mich war. »Die Magiejäger versuchten damals, das Schmuckstück zu zerstören«, sagte er. »Doch ganz gleich, was sie auch unternahmen, alle Versuche schlugen fehl. Schließlich gab man es in die Hände eines Priesters. Dieser legte einen Segen darüber. Auf diese Weise sollte die Aura verborgen und ein Aufspüren unmöglich gemacht werden. Calder Ravenwood hat Lavinias Seele nie wieder gefunden. Das Amulett jedoch wurde über die Generationen innerhalb der Gemeinde von Priester zu Priester weitergegeben und der Segen aufrechterhalten. Mein Onkel war der letzte. Als er in den Ruhestand ging, wurde die Kirche geschlossen. Sparmaßnahmen.« Das letzte Wort spie er förmlich aus. »Das Medaillon nahm er mit sich. Mit seinem Tod endet die Geschichte der Wächter, wie sich die Priester selbst nannten. Die Legende jedoch sagt, dass Calder noch immer da draußen ist und nach der Seele seiner geliebten Lavinia sucht.«
»Hatten Sie keine Angst, dass etwas passieren könnte, wenn der Segen nicht mehr erneuert wird?«
Mortens lachte. »Nein, natürlich nicht. Das Ganze ist eine schöne Geschichte. Aber nicht mehr. Sie ist ebenso wahr wie all die anderen Geschichten, die Onkel Graham so oft erzählt hat – von Piraten, Schatzsuchern und bösen Zauberern.«
Wobei die Zauberer erwiesenermaßen nicht in der Kategorie Märchen anzusiedeln waren.
»Das ist wirklich eine wunderbare Geschichte«, sagte Skyler nach einer kurzen Pause. »Ich werde Sie meiner Freundin erzählen, wenn ich ihr das Medaillon schenke. Sie liebt romantische Geschichten. Das war doch alles, oder kommt noch mehr?«
»Nein, das war es. Onkel Graham hat seine Erzählung gerne ein bisschen weiter ausgeschmückt, er war einfach ein talentierterer Erzähler als ich, aber im Kern war das alles. Mehr gibt es nicht zu erzählen.«
Skyler dachte einen Moment nach, dann nickte er. »Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, Mr Mortens.«
»Gerne. Ich freue mich, dass das Schmuckstück in so guten und interessierten Händen ist.«
Die beiden sagten Lebewohl, dann beendete Skyler die Verbindung und sah mich an. »Immerhin wissen wir jetzt mit Sicherheit, womit wir es zu tun haben.« Dabei klang er ausgesprochen zufrieden, als wäre diese alte Geschichte die Lösung unserer Probleme.
»Mit einer Hexenseele.« In meinen Ohren klang das weder beruhigend noch in irgendeiner Form nach einem gelösten Problem. Zumindest erklärte es einiges – zum Beispiel die Farbe von Kims Aura. Ich hatte angenommen, dass das Grau etwas mit ihrem Charakter zu tun hatte. Es war jedoch auch die Farbe, die für eine verirrte Seele stand. Was erschreckend viel Sinn ergab. Mein Fluch hatte mich an Kim gebunden und damit indirekt auch an das Amulett. Die Seele darin musste wie ein Verstärker gewirkt haben. Sie zog mich immer wieder in Kims Sicht – zumindest, solange sie die Kette getragen hatte. Seit ich das Ding hatte, waren die Ausflüge in ihren Geist ausgeblieben. Es musste also an der Magie der Kette liegen. Oder an der Seele.
28
»Wie geht es jetzt weiter?«, wollte ich wissen.
Skyler tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger gegen die Unterlippe, dann meinte er: »Sobald ich dir die Schutzrunen aufgemalt habe, werde ich die Informationen an meine Leute in London weitergeben.«
»Gibt es denn keinen Weg, mir diese Kette einfach abzunehmen und sie zu vernichten?«
»Nicht hier.«
Seit ich Mr Mortens Geschichte gehört hatte, drängte es mich noch mehr, dieses Ding so schnell wie möglich loszuwerden. Der Gedanke, mich weiteren Übergriffen dieser Seele auszusetzen, bereitete mir beinahe körperlichen Schmerz. Natürlich hatte Mortens es nicht gesagt, aber diese Seele war auf der Suche nach einem neuen Körper. Und ich war ihr Ziel. »Können wir es nicht trotzdem versuchen?«
»Und dich dabei umbringen?« Skyler schüttelte den Kopf. »Ich werde Max noch ein paar Fragen stellen und danach fahren wir ins Hauptquartier nach London.«
Allein bei der Vorstellung, mitten in die Zentrale der Magiepolizei hineinzumarschieren, wurde mir übel. Ich konnte unmöglich dorthin gehen! Aber welche Optionen hatte ich? Entweder würde die
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