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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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»Nur noch ein paar Zeichen. Hier und … da. Geschafft.«
    Kaum hatte er den letzten Pinselstrich gemacht, leuchteten die Runen feuerrot auf, als würden sie von innen heraus glühen. So schnell das Leuchten gekommen war, so schnell war es auch wieder verschwunden – und mit ihm der Schmerz.
    Die Farbe auf meinem Arm war schlagartig trocken und es sah aus, als wären die Runen bereits vor Tagen oder gar Wochen aufgetragen worden.
    Skyler war aufgestanden, nicht abrupt, sondern ganz langsam, wie in Zeitlupe. Der Stuhl war hinter ihm umgekippt, doch er schien es gar nicht zu bemerken. Wie versteinert stand er da und starrte auf die verschlungen Zeichen auf meinem Arm. Jedes Gefühl war aus seinen Zügen gewichen und mit ihm alle Farbe.
    Er ließ den Pinsel fallen, als hätte er sich die Finger daran verbrannt. Farbe spritzte in dünnen Tröpfchen auf den Teppichboden.
    »Du bist eine von ihnen!« Die Ader an seiner Schläfe pulsierte im Takt seines Herzschlags. »Die ganze Zeit über hast du mich angelogen, mich eingewickelt, dabei bist du genauso schrecklich wie dieses Ding, vor dem ich dich beschützen wollte!«
    Ich erstarrte. Das Glühen. Der Schmerz. Das alles war keine Reaktion auf die Seele gewesen und es hatte auch nichts mit einer Allergie zu tun. Es war meine Magie, die auf die Runen reagiert und sich dagegen zur Wehr gesetzt hatte. Meine Magie hatte mich verraten.
    »Skyler, ich …«, setzte ich an und stand ebenfalls auf. »Du … Wir können … Es ist nicht …« Nicht so, wie dudenkst? Es war genau so, wie er dachte! Verflucht, warum brachte ich keinen vernünftigen Satz zustande, es ging hier immerhin um mein Leben! Ich hatte Mühe zu atmen. Die Enttäuschung in seinen Augen zu sehen war schlimmer als die Wut, die er aus jeder Pore zu verströmen schien. Auch schlimmer als jede Form von Hass, mit der er mich überziehen konnte. Doch noch schwerer war die Verachtung zu ertragen, die sich mit jedem Herzschlag tiefer in seinem Blick einbrannte und die Enttäuschung mehr und mehr daraus verdrängte.
    »Du bist eine Lügnerin! Eine verdammte Zauberin bist du! Magischer Abschaum!«
    Seine Wut brach sich Bahn und schlug in einer Welle von gebrüllten Sätzen über mir zusammen. Er überschüttete mich mit einem Wortschwall, dessen Sinn ich nicht länger erfassen konnte. Er bestand nur noch aus sengendem Zorn. Ich hätte in Panik verfallen und versuchen müssen, aus dem Zimmer zu flüchten, doch ich konnte mich nicht bewegen. Konnte nicht einmal einen Plan fassen. In meinem Kopf gab es nur einen einzigen Gedanken: So endet es also.
    Ich wollte Skyler die Wut nehmen, wollte ihn so weit besänftigen, dass er in der Lage wäre, mir zuzuhören. Wenn ich ihm alles erklären könnte … Instinktiv streckte ich meine Hand nach ihm aus, wollte sie auf seinen Arm legen. Eine Verbindung zwischen uns erschaffen, durch die ich meine Kraft fließen lassen und seinen Zorn mildern konnte.
    Skyler schüttelte meine Hand ab. »Fass mich nicht an. Nie wieder!«
    Mit einem letzten Blick auf mich, der all seinen Abscheu zur Schau stellte, machte er kehrt und verließ das Zimmer. Das Schlagen der Tür hatte etwas Endgültiges an sich.

 29 
    So endete es also.
    Skyler war fort und ich stand allein in seinem Zimmer. Ich weiß nicht, wie lange ich mitten im Raum stand, nicht in der Lage, mich zu bewegen, und kaum fähig, mich aufrecht zu halten.
    Es kam mir vor wie Stunden.
    Zum zweiten Mal in meinem Leben hatte ich das verloren, das mir am wichtigsten war. Den Menschen, der mir am wichtigsten war.
    Ich schlang die Arme um den Oberkörper und kämpfte gegen die Tränen an. Doch welchen Sinn hatte es noch, sie zurückzuhalten?
    Ich war allein.
    Niemand sah mich.
    Allein. Das Wort hallte durch meinen Geist, wieder und wieder, als hätte ich erst jetzt begriffen, was es bedeutete, wirklich allein zu sein. All die Jahre, in denen ich die Einsamkeit gesucht hatte, war sie mir immer wie ein Freund erschienen. Jetzt jedoch, da ich Skyler endgültig verloren hatte, schien mir die Tragweite erst wirklich bewusst zu werden.
    Allein.
    Niemand, der sich um mich sorgte.
    Mich vermisste.
    Mich beschützte.
    Skyler war nicht lange in meinem Leben gewesen, doch er hatte es geschafft, mein Denken und meine Gefühle vollkommen auf den Kopf zu stellen. Er hatte vollbracht, was keinem der Menschen gelungen war, die in den letzten Jahren meinen Weg gekreuzt hatten: Er hatte die Mauerniedergerissen, die ich so mühsam um mich herum errichtet hatte

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