Die Fluchweberin

losmachte. »Du willst wirklich, dass sie uns erwischen«, flüsterte sie.
    »Wenn ich dafür noch einen Kuss bekomme, ist das die Strafe wert.«
    Sie küsste ihn noch einmal, dann befreite sie sich aus seinen Armen und schlüpfte in die andere Richtung davon, ohne Skyler und mich in den Schatten zu bemerken. Ty blickte ihr hinterher, bis sie außer Sicht war. Er wollte gerade in sein Zimmer zurückkehren, als er Skyler und mich entdeckte. Geistesgegenwärtig schlang Skyler einen Arm um mich. Ich war davon überzeugt, dass es ihm nie gelingen würde, Ty vorzumachen, er hätte uns bei einem geheimen Stelldichein überrascht. Als dieser jedoch grinste, wusste ich, dass er genau das glaubte. Skyler legte den Zeigefinger der freien Hand auf seine Lippen und bedeutete Ty, uns nicht zu verraten.
    Ty zwinkerte uns verschwörerisch zu, ehe er in seinem Zimmer verschwand und die Tür hinter sich schloss. Skyler gab mich so abrupt frei, als hätte er sich die Finger an mir verbrannt, und dirigierte mich wortlos zum Treppenhaus.
    Der Ort, an den der Klebstreifen mit Max’ Haar uns führte, war ein alter Dachboden über den Klassenzimmern, noch hinter dem Speicherraum, in dem alte, nicht länger benötigte Lehrmittel aufbewahrt wurden, die wegzuwerfen sich keiner die Mühe machte.
    Ich war noch nie hier oben gewesen. Ab dem Augenblick, in dem wir im Obergeschoss das Treppenhaus verließen und einer schmalen Holztreppe bis unter das Dach folgten, war es, als würden wir eine andere Welt betreten. Eine Welt, angefüllt mit Erinnerungen und alten Dingen. Ausgemusterte Globen fristeten hier ebenso ihr Dasein wie zusammengerollte Wandkarten, Skelette aus dem Biologieunterricht, denen bereits diverse Knochen fehlten, unzählige Bücher und kistenweise Laborausrüstung. Dazu gesellten sich ausrangierte Möbel. Es war kühl und über alldem lag ein durchdringendes modriges Aroma. Kleine Staubflocken wirbelten bei jeder Bewegung auf, schwirrten vor uns durch die Luft und kitzelten mich in der Nase. Niesend folgte ich Skyler durch den Raum. Überall hingen Spinnweben, die Dielen knarrten bei jedem Schritt unter unseren Sohlen, und es war mühsam, sich einen Weg zwischen all den Kisten und vollgestopften Regalen hindurch zu bahnen, die den Raum beinahe vollständig auszufüllen schienen.
    »Hältst du mich wirklich für böse?«, platzte es aus mir heraus.
    Skyler schob sich an einem Stapel Kisten vorbei. »Falls du versuchen willst, mich davon zu überzeugen, dich laufen zu lassen, vergiss es.«
    »Das war keine Antwort.«
    »Du willst eine Antwort? Ganz ehrlich? Die Antwort ist Ja. Zauberer sind böse.«
    Verbohrter Idiot! »Ist meine Aura deswegen farblos? Man sagt, schlechte Menschen haben keine Lieder. Ist eine farblose Aura das Magierpendant zu diesem Spruch? Böse Zauberer haben keine Farben? Etwas in der Art?«
    Wenn ich mir eine Antwort erhofft hatte, wurde ich enttäuscht. Alles, was ich bekam, war eine gehobene Augenbraue und ein ungeduldiges Kopfschütteln. Ich bohrte nicht weiter nach. Vermutlich würde mir ohnehin nichts von dem gefallen, was er zu sagen hatte. Dafür würde ich mit jedem weiteren Wort nur noch tiefer in die Bredouille geraten – dabei stand mir das Wasser sowieso schon bis zum Hals.
    In Gedanken versunken stolperte ich über einen Haufen alter Zeitungen. Ich verlor das Gleichgewicht, versuchte einen Sturz zu verhindern, in dem ich nach dem Erstbestengriff, das ich zu fassen bekam. Unglücklicherweise handelte es sich dabei um einen reichlich instabilen Kartonstapel. Statt mich zu fangen, riss ich ihn mit mir. Die Kartons schlugen gleichzeitig mit meinen Knien auf dem Boden auf. Eine dicke Staubwolke stieg in die Luft, hüllte mich ein und brachte mich erneut zum Niesen.
    »Lass die Spielchen«, hörte ich Skyler von irgendwo jenseits des Staubs sagen.
    Da er sich nicht die Mühe machte, mir aufzuhelfen, kämpfte ich mich selbst wieder auf die Beine und klopfte mir den Schmutz von den Klamotten.
    Was war das für ein trostloser Ort?
    Je weiter wir auf den Speicher vordrangen, desto mehr musste ich mir eingestehen, dass ich allmählich doch wissen wollte, was Max hier oben zu suchen hatte.
    Am hinteren Ende des Raumes, zwischen einem Regal und einer verkehrt herum abgestellten Kommode, war eine Tür. Skyler hob den Grundriss in die Höhe und warf einen Blick darauf. »Das muss es sein«, sagte er dann. »Dahinter ist er.«
    Er faltete den Plan zusammen und steckte ihn in die Gesäßtasche seiner Jeans, ehe