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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Du hast wohl nicht zufällig etwas da?«
    Behutsam legte er den Pinsel zur Seite, darauf bedacht, keine Farbe auf die Karte zu spritzen, und stand auf. Er öffnete die oberste Schublade seiner Wäschekommode und offenbarte mir den Blick auf den größten Vorrat von Süßigkeiten, den ich je außerhalb eines Supermarktes gesehen hatte. »Sieht so aus, als würde ein Sucher jede Menge Kalorien verbrennen.«
    »In meinem Job habe ich oft keine Gelegenheit für regelmäßige Mahlzeiten«, sagte er, während er seine Vorräte studierte. »Dass es hier einen Speisesaal mit geregelter Verpflegung gibt, ist ein echter Glücksgriff.«
    Ich reckte den Hals und ließ meinen Blick über die angesammelten Schokoriegel, Gummibärchen und Schokoladentafeln wandern, bis ich fand, wonach ich suchte. »Kann ich die blaue Schokotafel haben? Bitte.«
    Als er sie mir gab, berührten sich unsere Hände. Ich wollte meine Hand zurückziehen, brachte es aber nicht über mich. Auch Skyler hielt für einen Moment inne. Sein Daumen fuhr an meinem entlang. Dann jedoch schien ihm bewusstzu werden, was er tat. Er gab die Schokolade so abrupt frei, dass sie beinahe heruntergefallen wäre.
    »Danke«, sagte ich und wusste nicht recht, ob ich die Schokolade meinte oder diesen kurzen Augenblick der Nähe.
    Er nickte nur, setzte sich auf den Boden und nahm seine Arbeit wieder auf.
    Ich entfernte die äußere Verpackung der Schokolade und blickte zufrieden auf das, was darunter lag: Alufolie. Vorsichtig, um sie nur ja nicht einzureißen, schlug ich sie zurück, brach mir ein Stück Schokolade ab und schob es mir in den Mund. Immerhin musste ich den Schein wahren, abgesehen davon hatte ich tatsächlich Hunger. Allerdings waren meine Gedanken derart abgelenkt, dass ich den Geschmack der Schokolade kaum wahrnahm. Es hätte Knoblauch-Nuss sein können und es wäre mir vermutlich nicht einmal aufgefallen. Trotzdem verputzte ich die halbe Tafel, was mich ziemlich genau vier Bissen kostete, bevor ich den Rest wieder vorsichtig in die Folie wickelte und in meine Hosentasche steckte.
    Halb fürchtete ich schon, Skyler würde mich davon abhalten, doch er war so in seine Schriftzeichen versunken, dass er keinen Blick für mich hatte. Erst als ich aufstand, erregte ich seine Aufmerksamkeit.
    »Was hast du vor?«
    Ich deutete auf die Badezimmertür.
    Skyler runzelte die Stirn, als sei er sich nicht sicher, ob er mich wirklich aus den Augen lassen könne. Konnte er nicht. Musste er aber – zumindest wenn ich eine Chance haben wollte, ihm zu entkommen. »Da drin gibt es kein Fenster«, sagte ich. »Wenn ich nicht über Nacht die Fähigkeit gewonnen habe, mich durch den Abfluss zu zwängen, werde ich wohl nicht verschwinden.«
    Mit einem Nicken signalisierte er mir, zu gehen. Sobald ich die Tür hinter mir abgesperrt und das Licht angeschaltet hatte, lehnte ich mich dagegen und schloss erleichtert die Augen. Seinen verachtenden Blicken entkommen zu sein war wie eine Befreiung. Viel Zeit ließ ich mir jedoch nicht, um dieses Gefühl zu genießen. Wenn ich eine Chance haben wollte, ihm zu entkommen, durfte ich keinesfalls sein Misstrauen wecken. Je mehr ich mich beeilte, desto besser.
    Mit dem Licht war die Lüftung angegangen und übertönte die Geräusche meiner Bewegungen. Trotzdem klappte ich den Toilettendeckel lautstark hoch, nur für den Fall, dass Skyler lauschte. Dann wandte ich mich dem Schränkchen unter dem Waschbecken zu und öffnete es, dieses Mal darauf bedacht, es geräuschlos zu tun. Neben einer Rolle Toi­lettenpapier und Skylers Kulturbeutel fand ich, worauf ich gehofft hatte: einen kleinen Verbandskasten.
    Ich zog die Schokolade aus der Hosentasche, legte sie auf die Ablage über dem Waschbecken und schnappte mir den Verbandskasten. Zehn Sekunden später hatte ich eine Packung Pflaster und eine kleine Schere gefunden. Schnell streifte ich Skylers Pullover über den Kopf, öffnete die obersten Knöpfe meiner Bluse und zog den Stoff so weit auseinander, dass ich die Stelle erreichen konnte, an der er mir den Sender unter die Haut injiziert hatte. Ich konnte nur hoffen, dass er sich nicht in meinem Körper bewegte und noch immer an derselben Stelle saß. Vorsichtig wickelte ich die Schokolade aus der Folie, schüttelte ein paar Krümel ins Waschbecken und legte die Folie auf die Stelle, an der ich den Sender vermutete. Dann schnitt ich die Pflaster zurecht und befestigte die Folie damit so fest wie möglich auf meiner Haut. Die Schutzstreifen ließ ich

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