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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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zähe Masse, durch die meine Hand mit nur wenig Widerstand hindurchglitt. Sobald sich meine Finger jedoch durch diese Masse gegraben hatten, ließ der Druck in meinem Nacken nach. Ich bäumte mich auf, riss den Kopf zurück und warf mich nach Luft schnappend auf den Rücken.
    Über mir ragte Lavinias schemenhafte Silhouette auf. Wasser tropfte von ihr herab und sammelte sich auf dem Boden zu einer kleinen Pfütze. Auf dem Hintern robbte ich rückwärts, fort von ihr und dem Bachufer.
    Langsam folgte sie mir, ihr Gesicht in den Tiefen ihrer nebelhaften Gestalt verborgen.
    »Du kannst mir nichts tun!«, keuchte ich. Meine Augen brannten noch immer, das Wasser hatte mir nur kurze Linderung verschafft, doch im Augenblick war das meine geringste Sorge. Ich riss meinen Ärmel zurück und hielt meinen Arm in die Höhe. »Siehst du das? Diese Runen beschützen mich vor dir!«
    Sie lachte. Dieses Gekritzel wird mich ganz sicher nicht aufhalten.
    »Was willst du tun?«, japste ich. »Mich umbringen?« Ich gab mir alle Mühe, spöttisch zu klingen, wohl wissend, dass sie mich lebend brauchte, wenn sie meinen Körper übernehmen wollte.
    Es wird genügen, dein Bewusstsein auszulöschen.
    Na, vielen Dank auch.
    Ich bewegte mich weiter rückwärts. Sobald ich ein wenig mehr Abstand zwischen uns gebracht hatte – nicht dass ich darauf hoffte, dass mir das nützen würde –, sprang ich auf die Beine. Von der anderen Seite des Hauses drang Kampflärm zu uns herüber. Wilde Rufe, gepaart mit dumpfen Schlägen und kleineren Explosionen. Ich verdrängte meine Sorge um Skyler ebenso wie die Frage danach, wie er sich schlug. Im Augenblick hatte ich ein ganz anderes Problem.
    Lavinias Gestalt war noch immer nicht mehr als schemenhafter Nebel. Ganz egal, wie sehr ich mich anstrengte, dahinter ihre Züge auszumachen, ich brachte lediglich meine Augen dazu, heftiger zu tränen.
    Immer weiter zog ich mich zurück, vergrößerte den Abstand zwischen der Gestalt gewordenen Hexenseele und mir und fragte mich, wem ich eigentlich etwas vormachen wollte. Solange dieses Ding an mich gebunden war, konnte ich ihm unmöglich entkommen. Flucht war von Anfang an keine Option gewesen, das wurde mir nun klar. Dafür hatte die Seele bereits zu viel Macht. Wir mussten es zu Ende bringen. Jetzt und hier. Ein für alle Mal.
    Lavinia schien derselben Meinung zu sein. Während ich noch nach einer Strategie suchte, mit ihr fertigzuwerden, sprang sie vor und stieß mich mit so viel Wucht von sich, dass ich ein Stück durch die Luft flog, ehe ich hart auf der Erde aufschlug. Jeder Knochen in meinem Leib schmerzte und am liebsten wäre ich liegen geblieben, doch hier am Boden fühlte ich mich ihr zu sehr ausgeliefert. Obwohl es mir schwerfiel, zwang ich mich auf die Beine.
    Calder hat ein Ritual durchgeführt , eröffnete sie mir. Eines, das dich noch enger an mich gebunden hat. Du hast keine Kontrolle mehr über mich. Daran können auch die Schmierereien auf deinem Arm nichts ändern.
    Mit einem schrillen Lachen schoss sie auf mich zu. Dieses Mal jedoch wurde ich nicht von ihrem Angriff durch die Luft geschleudert. Ich spürte einen Schlag gegen die Brust, der mich wanken ließ, und rechnete damit, dass ihre schemenhafte Gestalt einmal mehr im Amulett versickern würde. Als ich jedoch nach unten sah, drang der Nebel nicht in das Schmuckstück, sondern geradewegs in meinen Brustkorb.
    Sie war in mir.
    Nicht länger im Amulett, sondern in mir. In meinem Körper.
    Bei dem bloßen Gedanken wurde mir übel.
    Ich musste etwas tun, solange ich noch die Kontrolle über mein Handeln hatte. Skyler. Ich musste Skyler helfen, damit er mir half. Mit unsicheren Schritten lief ich am Haus entlang, um die Ecke. Mit dem Eindringen der Seele in meinen Körper hatte sich etwas verändert. Ich fühlte eine Last, schlimmer, als das unsichtbare Amulett es je gewesen war. Aber ich bemerkte auch einen entscheidenden Vorteil: Meine Augen tränten nicht mehr und ich war wieder imstande, meine Umgebung klar und deutlich zu erkennen. Immerhin.
    Skyler war in Bedrängnis. Er blutete aus mehreren Wunden an Armen und Beinen, und auch seine linke Gesichtshälfte war von einem roten Film überzogen, der jedoch von der alten Wunde zu stammen schien, die sich wieder geöffnet hatte. Er lag auf dem Boden und versuchte gerade wieder hochzukommen. Der Hexer stand keine zwei Meter von ihm entfernt. Kleine Blitzte zuckten zwischen seinen Fingerspitzen hin und her, als er sie aneinanderrieb. Als würde

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