Die Fluchweberin
bemächtigen, auch ohne dass er dafür den Leichnam aufsuchen und in Stücke reißen musste.
»Was du getan hast, war das Mutigste, was ich je gesehenhabe«, sagte Skyler und lenkte meine Aufmerksamkeit von Ravenwoods Leichnam wieder auf sich. Er kniete dicht neben mir, einen Arm in meinem Rücken, um mich zu stützen. Und wieder spürte ich seinen Atem auf meinem Gesicht. Konnte man von diesem Gefühl der Wärme und Nähe abhängig werden?
Ich rieb mir den dröhnenden Schädel. »Es war wohl eher das Dümmste, was ich je getan habe.« Am liebsten hätte ich mich zusammengerollt und drei Tage durchgeschlafen. Ich bezweifelte, dass ich überhaupt noch zu einem einzigen Schritt in der Lage sein würde. Allein aufzustehen erschien mir schon wie ein unüberwindbares Hindernis. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so ausgelaugt gefühlt. Gut, ich hatte auch noch nie zuvor gegen eine Seele gekämpft, die mir meinen Körper streitig machen wollte.
»Ist es schlimm?« Skyler hob die freie Hand und strich mir vorsichtig über die Wange. Seine Berührung schmerzte, trotzdem wehrte ich mich nicht dagegen. Ich wollte, dass er mich berührte. Wollte ihn ein letztes Mal spüren, bevor er mich festnahm.
»Ich bin froh, dass du so schnell bemerkt hast, dass das Signal des Senders wieder da ist«, sprach ich den ersten Gedanken aus, der mir durch den Kopf schoss.
Skyler kniff die Augen zusammen. »Es war nie weg. Ich war lediglich so spät dran, weil mich ein gewisser Jemand auf einem Dachboden eingesperrt hatte.«
»Aber die Folie …«
In seinen Augen kämpften Entrüstung und Amüsement gegeneinander an, als er etwas erkannte. »Dafür wolltest du die Schokolade!« Er dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Auf dem Dachboden, kurz bevor du abgehauen bist, hast du etwas mit mir gemacht, oder? Mein Sensor hat vibriert, aber ich war nicht in der Lage … Ich war wie gebannt.«
Es war sinnlos, es zu leugnen, er wusste ohnehin, dass ich Magie im Blut hatte. Deshalb nickte ich. »Ich habe deine Stimmung beeinflusst und dir deine Wut und dein Misstrauen genommen und dich stattdessen friedlich gestimmt.«
»So etwas kann Magie?«
Wieder nickte ich, behielt dabei aber für mich, dass meine Gabe auch andersherum funktionierte und ich ebenso gut einen ruhigen Menschen aufwiegeln konnte, wenn ich es wollte.
»Es hat sich nicht schlecht angefühlt.« Er klang erstaunt. »Nicht … böse.«
»Magie ist nicht böse«, wiederholte ich noch einmal, was ich ihm letzte Nacht schon gesagt hatte. »Es ist eine neutrale Kraft, die erst von ihrem Benutzer in eine Richtung gelenkt wird.«
»Meine Güte, du klingst wie eine Werbebroschüre für Zauberei.«
»Und du wie ein Magiepolizist. Ach, ich vergaß: Du bist ja ein Magiepolizist.«
Ein Schatten legte sich über sein Gesicht und schlagartig war jeder Anflug von guter Laune daraus verschwunden. »Du weißt, dass ich dich ausliefern muss.«
Ich nickte, unfähig, ihm in die Augen zu sehen. Vielleicht hätte ich eine Chance gehabt, zu entkommen. Ab dem Augenblick jedoch, in dem mich Lavinias Seele am Bach angegriffen hatte, war es zu spät gewesen. Jetzt hatte ich keine Kraft mehr zu kämpfen. Ich hob die Arme und hielt ihm meine Hände entgegen, damit er mir die Handschellen anlegen konnte. Statt des kühlen Metalls spürte ich jedoch seine Finger, die sich warm um meine Handgelenke schlossen. Behutsam zog er mich auf die Beine.
»Ich habe mir immer gewünscht, jemandem wie dich zu finden, aber …«
»Sag es nicht.«
»Ich muss es sagen. Ich will, dass du weißt, dass das nichts mit dir zu tun hat. Wenn die Umstände andere wären …
»Nicht.« Ich legte ihm meinen Zeigefinger auf die Lippen und brachte ihn zum Schweigen.
Skyler zog meine Hand fort und hielt sie fest. »Es darf einfach nicht sein.«
»Ich weiß.«
Er wollte noch mehr sagen, doch ich schüttelte den Kopf, wollte die leeren Worte nicht hören, mit denen er seine Arbeit und seine Einstellung der Magie gegenüber zu rechtfertigen versuchte. Er konnte mir nicht einmal in die Augen sehen. Auch mir fiel es schwer, ihn anzusehen. Mein Blick wanderte unstet hin und her und blieb schließlich auf dem Feuerholzstapel hängen, der neben mir aufgeschichtet war. Blitzschnell griff ich zu, schnappte mir das erstbeste Scheit und zog es ihm über den Schädel. Wie ein gefällter Baum ging Skyler zu Boden. Ich vergewisserte mich rasch, dass ich ihn nicht umgebracht hatte, dann lief ich ins Haus, holte meinen Rucksack
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