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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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und verschwand.
    Schottische Highlands, ein kleines Dorf
am Ufer des Loch Inchard
Sechs Monate später …
     
    »Ich habe die Küche dichtgemacht und den Müll rausgestellt.« Murray, der Inhaber des Kings Inn lehnte sich seitlich gegen das Whiskyregal hinter der Bar. »Macht es dir was aus, wenn ich verschwinde?«
    Ich sah vom Becken auf, an dem ich gerade die letzten Gläser gespült hatte. »Nein, geh nur. Ich kümmere mich um den Rest.«
    »Dafür schulde ich dir was.« Das war der Spruch, den ich so ziemlich jeden Abend zu hören bekam, seit ich hier arbeitete, genauso wie die darauf folgenden Worte »Vergiss nicht abzusperren«. Der Pub befand sich in einem kleinen Dorf mit nicht einmal einhundert Einwohnern, einem Ort, in dem nicht nur jeder jeden kannte, sondern auch niemand seine Haustür verriegelte. Nur Murray, der lange in verschiedenen Großstädten gelebt hatte, bevor es ihn zurück in seinen Heimatort gezogen hatte, konnte sich nicht von dem Drang befreien, alles abzusperren. Er winkte mir noch einmal kurz zu, machte kehrt und verschwand im Gang zur Küche. Zehn Sekunden später hörte ich die Hintertür klappen.
    Ich war allein.
    Allein.
    Der Zustand, den sich seit meiner Flucht aus Holbrook Hill zugleich am meisten zu schätzen wie auch zu hassen gelernt hatte.
    Nachdem ich Skyler bei der Jagdhütte niedergeschlagen hatte, war ich nach London geflüchtet. Ich hatte einen Arzt aufgetrieben, der, ohne Fragen zu stellen, den Sender herausgeschnitten und zerstört hatte. Danach hatte ich mich auf dem Schwarzmarkt umgehört, bis ich jemandenfand, der sich bereit erklärte, mir für einen Batzen Geld ein Schutzamulett herzustellen – eines, das mich vor Skylers Aufspürzauber verbergen würde.
    Max’ Tod und mein Verschwinden waren einige Tage durch die Presse gegangen. Zu meinem Verschwinden existierten mehrere Theorien. Die eine besagte, dass ich, wie Max auch, ermordet worden war und man meine Leiche lediglich noch nicht gefunden hatte. Der anderen Theorie zufolge hatte mich Max’ Tod so mitgenommen, dass ich davongelaufen war und nun verwirrt und trauernd umherstreifte. Schon bald wurden die Meldungen über Max und mich jedoch von anderen, wichtigeren Nachrichten abgelöst.
    In den ersten Wochen hatte ich meinen Aufenthaltsort beinahe täglich gewechselt. Bemüht, meine Spuren zu verwischen, war ich von Hotel zu Hotel und von Pension zu Pension gezogen, immer unter einem anderen Namen und mit wechselnden Haarfarben. Ich zog von Unterkunft zu Unterkunft, rastlos und immer mit einem Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass mir niemand folgte.
    Ich war mir sicher gewesen, dass es mir nur in einer Millionenmetropole dauerhaft gelingen würde, unterzutauchen. Eins zu werden, mit all diesen Gesichtern, die die Straßen und Plätze bevölkerten. Aber das war nicht der Fall. Ich hatte mich nie auch nur ansatzweise sicher gefühlt. Erst als ich London hinter mir gelassen hatte und weit in den schottischen Norden gefahren war, hatten die Beklemmung und das Gefühl, verfolgt zu werden, nachgelassen. Die Gegend hier oben war dünn besiedelt und selbst in den Ortschaften gab es nur wenige Bewohner. Arbeitsplätze waren rar gesät. Da ich mir jedoch meinen Lebensunterhalt verdienen musste, war ich im Kings Inn hängen geblieben. Murray hatte mir nicht nur einen Job als Bedienung, sondern auch eine kostenfreie Unterkunft im Hinterzimmer des Pubs angeboten.
    Längst kannte ich die Stammgäste, alles Leute aus dem Ort. Eine übersichtliche Anzahl von Gesichtern, unter der ein Fremder sofort herausstechen würde. Doch es gab hier keine Fremden. Der Ort war so abgelegen, dass sich nur wenige Touristen hierherverirrten. Die meisten fuhren nur durch, ohne einen Halt einzulegen und den Pub zu besuchen.
    Für mich war es der ideale Unterschlupf.
    Es war kurz vor Mitternacht, die letzten Gäste waren vor ein paar Minuten gegangen und ich musste nur noch die Tische abwischen, die Stühle zurechtrücken und ein wenig aufräumen. Ich trocknete die letzten Gläser ab und stellte sie ins Regal.
    Wie jeden Abend fragte ich mich, wie es wohl Ty, Mercy und Lily gehen mochte und ob Kim sich von den Attacken der Seele erholt hatte. Vielleicht war sie ja ins Kloster gegangen nach allem, was ihr zugestoßen war. Ich wäre gerne zu Max’ Beerdigung gekommen, aber das war unmöglich. Die Magiepolizei würde nur darauf warten, mich an seinem Grab zu verhaften. Selbst jetzt, Monate später, fiel es mir noch schwer, zu begreifen,

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