Die Fluchweberin
einem schnellen Blick vergewisserte ich mich, dass ich allein war, und schlüpfte in eine der Kabinen. Kaum hatte ich hinter mir abgesperrt, lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Tür. Was, wenn diese Verbindung nicht nur in eine Richtung funktionierte und Kim sich auch in mich hineinversetzen konnte? Gedanken las, die niemanden außer mich etwas angingen.
Über Magie.
Ich musste diese Verbindung lösen – und zwar sofort!
Ich schloss die Augen und stellte mir Kims Aura vor und wie sich die Fäden des Fluchs mehr und mehr damit verbunden hatten, bis sie vor meinem inneren Auge erschien. Das boshafte Rot war einem Braunton gewichen. Das war seltsam, denn Braun war ein Anzeichen niederer Charaktereigenschaften, die sollte Kim nach meinem Fluch aber eigentlich abgelegt haben. Statt mir weiter Gedanken darüber zu machen, rief ich meine eigene Aura dazu. Ein merkwürdiger Anblick, denn im Gegensatz zu fremden Auren war es mir nicht möglich, bei mir selbst eine Farbe zu erkennen. Meine Aura war ein unruhiger, farbloser Wirbel. Ich wusste nicht, ob das normal war und ob ein Mensch schlicht nicht in der Lage war, sich selbst zu erkennen, oder ob ich es als schlechtes Zeichen werten sollte. Vermutlich war das, was ich mit meiner Magie anstellte, nicht besonders gut fürs Karma.
Unsere beiden Auren nebeneinander zu sehen, war ein eigenartiger Anblick. Ungeachtet der fehlenden Farbe glich meine Aura eher einem Lichtkranz, der mich wie eine Schutzschicht umgab, während Kims wie Flammen loderte. Bräunliche Flammen, die sich bis zu mir erstreckten und sich in meine Aura gruben, wie Wurzeln, die durch Mauerwerk drangen.
Da ich keine Worte kannte, mit denen ich unsere Verbindung trennen konnte, verließ ich mich auf die Kraft meiner Gedanken. Ich stellte mir vor, wie ich nach den Tentakeln von Kims Aura griff und sie fortzog. Eines nach dem anderen entfernte ich sie von mir, bis die Verbindung vollständig gekappt war. Eine Weile hielt ich meine Konzentration noch aufrecht, um zu sehen, ob sie ihre Fühler erneut nach mir ausstrecken würde, doch das geschah nicht. Ihre Aura loderte jetzt heller und umgab sie in zuckenden Lohen, doch sie reckten sich nicht länger in meine Richtung. Langsam zog ich mich zurück, trat aus dem Bild, bis nur noch Kims Licht zu sehen war.
Dann öffnete ich die Augen.
Meine Knie zitterten vor Erschöpfung und mein Atem kam in schnellen, harten Stößen. Ich fühlte mich vollkommen ausgelaugt, als hätte mir die Trennung unserer Auren alle Kraft aus den Gliedern gesogen. Vielleicht war ich auch einfach nur erleichtert.
Ich blieb noch ein paar Minuten stehen, bis ich sicher sein konnte, dass mich meine Beine nicht im Stich lassen würden, dann verließ ich die Kabine. Am Waschtisch ließ ich mir kaltes Wasser über die Handgelenke laufen, bis meine Haut zu prickeln begann und das Leben in meine Glieder zurückkehrte. Nachdem ich mir auch noch das Gesicht gewaschen hatte, verließ ich den Waschraum und machte mich auf die Suche nach Skyler.
Wie erwartet fand ich ihn in der Bibliothek. Als er mich kommen sah, hellte sich seine Miene auf. Er nahm seinen Rucksack vom Stuhl, damit ich mich setzen konnte.
»Wo hast du gesteckt, Sonnenschein?«
Sonnenschein? Das war definitiv die netteste Anspielung auf meinen Namen, die ich bisher gehört hatte. Tatsächlich freute ich mich, Skyler zu sehen. Keine Ahnung, ob es an ihm lag oder einfach daran, dass sich meine Laune in den letzten Minuten deutlich gebessert hatte. Die Verbindung war durchtrennt, der Fluch funktionierte – alles war bestens. Lediglich die Erinnerung an Kims Qual legte sich wie ein Schatten über meine Laune. Obwohl ich mir immer wieder sagte, dass es nichts schaden konnte, wenn sie einmal erfuhr, wie sich die Leute fühlten, die sie und ihre Freundinnen so oft wie Dreck behandelten, war es doch etwas anderes, selbst zu spüren, wie es ihr dabei erging, wenn ihre Freundinnen sie schnitten und sich über sie lustig machten.
»Du bist wirklich ein Weichei, Raine.«
»Was?«
Skylers Frage riss mich aus meinen Gedanken. Hatte ich das etwa laut ausgesprochen? Schnell schüttelte ich den Kopf. »Nichts, nichts.«
»Willst du mir verraten, warum du nach dem Unterricht so schnell verschwunden bist?« Er lächelte, doch in seinen Augen sah ich noch etwas anderes, etwas, das ich nur schwer zu fassen bekam und das sich am ehesten als eine Mischung aus Sorge und Misstrauen beschreiben ließ. Aber Misstrauen? Warum um alles in der Welt
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