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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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wenig einen Platz wie Max.
    Mein erster Versuch, die Verbindung zwischen uns zu lösen, war gescheitert. Wie ich es auch drehte und wendete, mir wollte kein anderer Weg einfallen, das Band zu durchtrennen, als der, den ich bereits erfolglos beschritten hatte. So, wie es aussah, gab es nur eine Lösung: Ich musste den Fluch von Kim nehmen.
    Sie würde wieder dasselbe zickige Miststück werden, das sie immer gewesen war. Alles wäre wieder beim Alten – außer dass Kim vermutlich ein wenig Mühe haben würde, ihr Verhalten zu erklären und ihre Freundinnen wieder auf ihreSeite zu bringen. Und dass ich mich beherrschen musste, mich in der Öffentlichkeit nicht zu kindischen und gefährlichen Racheaktionen hinreißen zu lassen. Vielleicht sollte ich ihr einfach jedes Mal eine scheuern, wenn ich den Wunsch verspürte, ihr einen Fluch an den Hals zu hängen. Allerdings hatte ich keine Lust, ihretwegen von der Schule zu fliegen.
    Ich seufzte. Es war jammerschade. Der Fluch hatte so wunderbar funktioniert – bis auf diese blöde Nebenwirkung, von der ich immer noch nicht wusste, wie sie zustande gekommen war.
    Die Vorstellung, dass bald wieder alles wie immer sein würde, war alles andere als erbaulich. Trotzdem blieb mir keine andere Wahl.
    Nachdem es mir nicht gelungen war, die Verbindung zu Kim abzuschneiden, machte ich mir Sorgen, dass ich es womöglich auch nicht so einfach schaffen würde, den Fluch aufzuheben. Immerhin war das kein einfacher Fluch, sondern einer von der anhänglichen Sorte, gebunden an das Medaillon und Kims Haar.
    Dass ich die Kette unmöglich noch einmal unbemerkt in meinen Besitz bringen konnte, machte es nicht unbedingt leichter. Aber es würde gehen. Ich warf einen Blick aus dem Fenster nach draußen, wo der Wind vereinzelte Wolkenfetzen über den Nachthimmel trieb. Der Mond stand über den Wäldern, eine große bleiche Scheibe, deren fahler Schein die Dunkelheit aufweichte. Vollmond. Das war perfekt. Mondlicht verstärkte jede Form von Magie. Wenn ich es mir zunutze machte, erhöhte ich meine Erfolgschancen deutlich. Jetzt fehlte nur noch eine Kleinigkeit, dann konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen: Ich brauchte eine Locke von Kim.
    Ein paar weniger poetische einzelne Haare würden ihren Zweck allerdings auch erfüllen. Ich musste sie nach dem Training abpassen, wenn sie duschen ging, und zwar unauffällig.
    Mit einem Seufzer stand ich auf und ging zur Tür. Vorsichtig zog ich sie einen Spalt auf und spähte auf den Gang. Niemand zu sehen. Die meisten waren entweder noch beim Abendessen oder schon mit ihren Freizeitaktivitäten beschäftigt. Ich schlüpfte aus meinem Zimmer, sperrte hinter mir ab und lief zur Treppe. Ich wusste nicht, wie lange das Training dauern würde, und ein Teil von mir fürchtete, bereits zu spät zu kommen. Alles in mir drängte zur Eile, trotzdem zwang ich mich, nicht zu rennen. Mit strammen, aber nicht überhasteten Schritten verließ ich das Haus und ging hinüber zu den Sporthallen. Der Gang vor den Umkleidekabinen war verlassen und in der Umkleide selbst war alles still. So, wie es aussah, war Coach Jamessons Training noch in vollem Gange. Ich trat ein und ging auf direktem Weg weiter zu den Waschräumen.
    Ein Mädchen aus dem Leichtathletikteam stand am Waschbecken und wusch sich die Hände. Sie sah nicht einmal auf, als ich hereinkam und an ihr vorbei in eine der Toi­lettenkabinen schlüpfte. Ich sperrte hinter mir ab, klappte den Toilettendeckel herunter und setzte mich darauf. Hoffentlich musste ich nicht zu lange warten. Ich mochte die Enge hier drinnen nicht. Wenigstens gab die Deckenlampe genügend Licht.
    Um die Zeit totzuschlagen und dabei nicht in endlosen Grübeleien über Skyler und das Ritual hinter dem Haus zu versinken, bei denen ich mich sowieso nur im Kreis drehen würde, zählte ich die Bodenfliesen. Blaue und grüne Mosaikfliesen, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hatten und klein genug waren, um mich eine Weile zu beschäftigen.
    Ich weiß nicht, wie oft ich sie durchgezählt hatte, bismich schließlich Stimmen, Gelächter und Türenschlagen in die Wirklichkeit zurückrissen. Erschrocken fuhr ich hoch. Angestrengt versuchte ich aus dem Stimmengewirr die eine Stimme herauszuhören, nach der ich suchte. Doch Kim war nicht dabei.
    Wasser rauschte, als die Mädchen die Duschen stürmten. Ihre Stimmen wurden in meinem Kopf zu einer gleichmäßigen Geräuschkulisse, während ich weiter wartete. Wie gut standen meine Chancen überhaupt,

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