Die Fluchweberin
Moment, der mir eine weitere Erkenntnis bescherte, die mir unter anderen Umständen verborgen geblieben wäre. Mein Blick war noch immer auf mein Spiegelbild gerichtet, als mir bewusst wurde, dass sich der Schemen auf meiner Brust nicht im Glas reflektierte. Meine eigenen Hände schlossen sich um meinen Hals und drückten zu.
Ganz gleich, wie sehr ich auch gegen den Schemen angekämpft haben mochte, er war nichts weiter als Einbildung. Ich selbst war mein Gegner! Meine Versuche, die Kreatur von mir zu stoßen, waren ebenso eine Illusion gewesen wie die Kreatur selbst.
Nachdem ich das nun wusste, konnte ich zumindest etwas tun. Ich versuchte meine Hände von meinem Hals zu nehmen, doch sie gehorchten mir nicht. Was auch immer meine Hände lenkte, es war nicht mein eigener Wille.
Zornig starrte ich in die braunen Augen, die mir angriffslustig aus dem Spiegel ins Gesicht sahen, und spürte sofort, wie der Druck an meinem Hals zunahm. Hastig wandte ich den Kopf ab. Die Kreatur saß nicht länger über mir, zumindest diesen Bann hatte ich gebrochen.
Statt auf das Wesen in mir, konzentrierte ich mich auf mich selbst. Kein leichtes Unterfangen angesichts des Umstandes, dass die Luft in meinen Lungen immer weniger wurde und die Hände um meinen Hals ein wahres Feuerwerk von roten und schwarzen Flecken vor meinen Augen explodieren ließen.
Ich richtete meine volle Aufmerksamkeit auf meine Hände, spürte den Muskeln und Sehnen nach, wie sie sich unter der Haut bewegten, und versuchte sie zu entspannen. Es wollte mir jedoch nicht gelingen, sie zu kontrollieren.
Verzweifelt schloss ich die Augen … und fühlte, wie sichder Griff um meinen Hals lockerte. Meine Finger zuckten. Jede Faser meines Körpers schien sie dazu zu drängen, sich erneut fest um meinen Hals zu schließen, und ich glaubte bereits zu spüren, wie sich der Druck wieder verstärkte.
Es waren meine eigenen Hände, die mich würgten – vielleicht waren es auch meine eigenen Gefühle, die mich dazu brachten. Oder zumindest die Beeinflussung dieser Gefühle. Wenn es mir gelang, darauf Einfluss zu nehmen und sie zu glätten …
Ich konzentrierte mich auf die Schwingungen im Raum. Angst und Wut hingen deutlich greifbar in der Luft. Und beides hatte seinen Ursprung in mir. Mit geschlossenen Augen streckte ich meinen Geist aus und griff mit meiner Gabe nach den aufgepeitschten Gefühlen. Nach und nach versuchte ich sie zu besänftigen, wie ich es schon Hunderte Male getan hatte. Nur dass ich dieses Mal weder meine Atmung noch meinen Herzschlag der gewünschten Stimmung anpassen konnte.
»Du gehörst mir, kleine Zauberin!« Ein zorniges Kreischen erfüllte die Luft, dann fiel die Wut in sich zusammen, entwich aus dem Raum wie eine Rauchwolke. Und plötzlich war ich frei. Meine Hände glitten von meinem Hals und meine Arme fielen mit einem vernehmlichen Laut neben mir auf den Teppich. Keuchend und um Atem ringend lag ich da.
Als ich den Kopf zur Seite wandte, blickte mir mein eigenes Abbild aus dem Spiegel entgegen. Keine braunen Augen und auch kein fremdes Gesicht über meinem. Was auch immer mich attackiert hatte, war fort.
Zumindest für den Moment.
20
Zitternd setzte ich mich auf.
Mein Herz hämmerte wie verrückt und mein Atem rasselte in meiner trockenen Kehle, dass ich bei den ersten Atemzügen jedes Mal erschrocken zusammenzuckte. Mein Rücken schmerzte vom Zusammenstoß mit der Wand, meine Angst jedoch überwog den Schmerz bei Weitem.
Jemand hatte mir einen magisch getarnten Gegenstand angehängt, den ich trotz aller Anstrengung nicht abstreifen konnte. Das wurde nur noch davon übertroffen, dass durch diesen Gegenstand etwas in meinen Körper gedrungen und ihn zu übernehmen versucht hatte.
Du gehörst mir, kleine Zauberin.
Trotz des dicken Pullovers fror ich plötzlich. In dem Versuch, die Wärme in meinen Körper zurückzubringen und die Angst zu verdrängen, schlang ich die Arme um mich. Es kostete mich einiges an Mühe, gegen den Drang anzukämpfen, mich zu einem Ball zusammenzurollen und vollends in meiner Hilflosigkeit zu erstarren.
Ich wusste nicht, was schlimmer war: dass mich dieses Wesen überhaupt angegriffen hatte oder dass ich ihm so gar nichts entgegensetzen konnte.
Selbst mit einem Fluch hätte ich nichts ausrichten können. Ich wusste ja nicht einmal, worauf ich ihn hätte richten sollen. Auf den Schemen, den ich gesehen hatte, der aber gar nicht wirklich da gewesen war, oder auf mich selbst?
Trotzdem war es meine Magie
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