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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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schnell. So eilig war es auch wieder nicht.»
    / Er saß draußen auf dem Fußboden und las in einem Buch. Als sie die Tür öffnete, stand er auf. Sibylla versuchte zu lächeln. Er sah verwundert ihren Rucksack an und sie folgte seinem Blick.
    «Die Wäsche», erklärte sie.
    Er nickte. Sie hielt den halbmeterlangen Schlüsselanhänger in der Hand und ging zur Waschküchentür. Ihre Hand zitterte und sie hatte Mühe, den Schlüssel ins Schloss zu stecken.
    «Bist du gerade eingezogen?»
    Endlich ging die Tür auf. Sie trat an den Trockner, um den Blick des Typen nicht erwidern zu müssen.
    «Ja.»
    «Toll. Willkommen!»
    Geh jetzt rein und dusch dich, verdammt nochmal, bevor ich dir eins reinhaue.
    Sie öffnete den Trockner und nahm ihre Unterhosen und das Handtuch heraus. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Typ kehrtmachte und einen Schritt in den Duschraum tat. So schnell sie konnte, schmiss sie die halb trockene Wäsche in den Rucksack und schnallte ihn sich auf den Rücken. Als sie sich umdrehte und gehen wollte, hatte auch er sich wieder umgedreht und sah sie an. In der linken Hand hielt er die Zeitung. Sie erstarrte so plötzlich, als ob sie mitten im Schritt im Betonfußboden stecken geblieben wäre.
    Einen Moment lang sah er verwirrt aus. Er streckte ihr die Zeitung hin.
    «Bleib locker! Du hast nur das hier vergessen.»
    Die alljährliche Weihnachtsfeier.
    Siebzehn Jahre. Die Ehrentafel.
    Sie hatte darum gebeten, zu Hause bleiben zu dürfen. Ihre Mutter hatte vor Verwunderung gestutzt.
    «Es ist doch toll für dich, ein bisschen rauszukommen. Du sitzt doch nun schon monatelang zu Hause herum.»
    Ja. Natürlich tat sie das. Dreiundsechzig Tage und neun Stunden waren vergangen, seit sie Micke zuletzt gesehen hatte. Gun- Britt holte sie mit dem Renault jeden Tag in Vetlanda von der Schule ab, und die Spaziergänge waren auf Grund verspielten Vertrauens gestrichen worden.
    «Ich will nicht.»
    Ihre Mutter ging schweigend zum Ankleideraum und öffnete die Tür, um für ihre Tochter eine passende Kreation herauszusuchen.
    «Was sind das für Dummheiten ? Es ist ganz klar, dass du mitkommst.»
    Sibylla setzte sich aufs Bett und schaute ihrer Mutter dabei zu, wie sie die Kleider durchging.
    «Ich komme nur mit, wenn ich am Jugendtisch sitzen darf.»
    Beatrice Forsenström verschlug es angesichts dieses unerhörten Ultimatums zunächst die Sprache.
    «Und aus welchem Grund solltest du denn dort sitzen, wenn ich fragen darf?»
    «Weil sie dort zufällig in meinem Alter sind.»
    Ihre Mutter hatte einen ungewöhnlichen Gesichtsausdruck, als sie sich umdrehte und sie betrachtete. Sibylla spürte ihr Herz heftig klopfen. Sie hatte sich entschlossen. Sie hatte jetzt Micke, zu dem sie flüchten konnte. Sie war nicht mehr allein. In sieben Monaten würde sie achtzehn werden, und dann konnte sie machen, was sie wollte. Bis dahin, hatte sie beschlossen, würde sie Krieg führen.
    «Wenn ich nicht dort sitzen darf, bleibe ich zu Hause.»
    Ihre Stimme hatte nicht einmal gezittert. Die Mutter traute ihren Ohren nicht. Sie selbst auch kaum. Beunruhigend war freilich, dass sie den Gesichtsausdruck ihrer Mutter nicht deuten konnte. Ihr kroch ein Anflug von Unsicherheit unter die Haut. Eine leise Ahnung von Furcht.
    «Du weißt, dass dieses für mich und Vater der wichtigste Abend im Jahr ist, und dann machst du so etwas. Warum kannst du immer nur an dich und nie an andere denken?»
    Das Pendel schlug voll aus.
    Sie war drauf und dran, ein Erdbeben auszulösen, und es bestand nicht der geringste Zweifel daran, wer davon getroffen würde. Sibylla war plötzlich vor Schreck gelähmt. Wahrscheinlich war ihr ihre Angst anzusehen, denn Beatrice Forsenström ergriff die Gelegenheit, das Gespräch zu beenden.
    «Wir werden uns darüber unterhalten, wenn wir nach Hause kommen.»
    Mit diesen Worten verließ ihre Mutter das Zimmer.
    Wieder hatte sie ihren Willen gebrochen.
    Der Verkaufschef zur Linken.
    Direktor Forsenström auf dem Ehrenplatz.
    Sibylla war komisch zumute, wie sie da in ihrem Kleid an der Ehrentafel saß. Der Raum drehte sich gleichsam. Die Geräusche kamen schubweise, und sie konnte nur die Worte derer verstehen, die ihr am nächsten saßen. Die Zorneswogen ihrer Mutter schräg gegenüber trafen sie wie Stromstöße, und sie wunderte sich, dass diese Kraft die Gläser zwischen ihnen nicht zum Umkippen brachte. Das Essen hatte Sibylla nicht angerührt. Die anderen waren fast fertig. Ihre Mutter lächelte und prostete allen

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