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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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Eimer. Die Kanne war schon so schwarz, dass er sich das hätte schenken können. Sibylla setzte sich auf den Küchenstuhl, der am heilsten aussah. Thomas schüttete aus einem Plastikkanister Wasser in die Maschine.
    «In welcher Scheiße bist du da gelandet?»
    Sibylla seufzte.
    «Das kannst du laut sagen. Ich habe wirklich keine Ahnung.»
    Er wandte sich um und sah sie an.
    «Was hast du mit deinen Haaren gemacht?»
    Sie antwortete nicht. Er zeigte auf Aftonbladet, das aus einem Papierkorb ragte.
    «Das hat dir besser gestanden», sagte er, während er den alten Melittafilter darüber kippte. Die Hälfte des Kaffeesatzes landete auf dem Fußboden.
    «Ich wollte dich um Hilfe bitten.»
    «Aha. Brauchst du ein Alibi?»
    Sie wurde plötzlich ärgerlich. Sie wusste, dass er scherzte, weil er nervös war. Das hatte er immer schon so gemacht. Normalerweise wusste er aber, wo die Grenze war, und jetzt war es nicht mehr lustig.
    «Ich war tatsächlich im Grand. Und wie du weißt, fällt es mir ein bisschen schwer, den Bullen zu erklären, warum.»
    Er setzte sich ihr gegenüber. Hinter ihm begann die Kaffeemaschine zu gurgeln, und die ersten Tropfen landeten irgendwo im Dunkel der Kanne.
    Vielleicht hatte er den neuen Ton in ihrer Stimme bemerkt, denn mit einem Mal sah er ernst drein.
    «Du hast dir also eine Gratisnacht genehmigt?»
    Sie nickte.
    « Und es war dieser Typ, der sie bezahlen durfte?»
    Er zeigte auf den Papierkorb. Sie nickte wieder.
    «So ein Pech aber auch. Und Västervik?»
    Sie legte den Kopf zurück und schloss die Augen.
    «Keine Ahnung. Ich war noch nie in meinem Leben in Väs- tervik. Ich weiß nicht, was eigentlich abläuft.»
    Sie sah ihn wieder an. Er schüttelte den Kopf.
    «So eine beschissene Sache.»
    «Ja. Das kann man wohl sagen.»
    Er kratzte sich den Bart und schüttelte noch einmal den Kopf.
    «Na ja. Und wobei brauchst du nun Hilfe?»
    «Mutters Geld abholen. Ich traue mich nicht zu meinem Postfach.»
    Sie sahen sich über den Tisch hinweg an. Mutters Geld war auch für ihn ein bekanntes Phänomen. Während der Jahre im Wohnwagen hatte er ihr geholfen, jedes Ore davon zu versaufen. Er stand auf, um den Kaffee zu holen, und auf dem Rückweg schnappte er sich einen Becher. Der Henkel fehlte und der Becher schien seit seinem ersten Gebrauch nicht mehr abgespült worden zu sein.
    «Hast du denn heute schon etwas zu beißen gehabt?»
    «Nein.»
    «Im Kühlschrank sind Brot und Schmierkäse.»
    Sie stand auf, um sich das Essen zu holen. Sie war nicht mehr besonders hungrig, aber es wäre dumm gewesen, die Gelegenheit nicht wahrzunehmen. Als sie an den Tisch zurückkam, hatte er ihr Kaffee eingeschenkt. Er kratzte sich wieder den Bart. Sie legte den Brotlaib und die Tube mit dem Schmierkäse auf den Tisch.
    «Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht absolut notwendig wäre. Ich komme ohne dieses Geld nicht klar.»
    Er nickte.
    «Okay...»
    Bevor er fortfuhr, trank er einen Schluck Kaffee.
    «... Ich gehe hin und versuche es. Aus alter Freundschaft.»
    Sie sahen sich über den Tisch hinweg an. Solange er nüchtern blieb, war seine Freundschaft für sie von unschätzbarem Wert. Ihr einzig zuverlässiger Kontakt zur Umwelt.
    Finge er aber zu trinken an, würde er verlangen, dass sie es ihm zurückzahlte.
    Aus alter Freundschaft.
    Sobald sie den Versammlungssaal verlassen hatte, war sie zum VMIJ-Hof gegangen. Niemand hatte sie aufzuhalten versucht. Wahrscheinlich war ihre Mutter nun dabei, von der Stimmung der alljährlichen Weihnachtsfeier zu retten, was noch zu retten war.
    Sie war nicht dazu gekommen, sich ihre Jacke anzuziehen, und draußen war es kalt, aber was machte das schon? Leichte Schneeflocken schwebten wie schimmerndes Konfetti vom Himmel herab, und sie legte den Kopf zurück und versuchte, sie mit dem Mund aufzufangen.
    In ihrem Inneren war alles gut. Als ob es auf der ganzen Welt keine Unruhe mehr gäbe. Nichts spielte mehr eine Rolle. Nichts, außer dass sie auf dem Weg zu Micke war. Jetzt gehörte alles ihr.
    Am Straßenrand standen weiß gekleidete Menschen und winkten. Jubelten. Genau wie in dem Film, den sie am Samstag im Fernsehen gesehen hatte. Sie ging in einem Lichtschein dahin. Ein Lichtkegel, der vom Himmel herabfiel und jeden ihrer Schritte begleitete. Sie winkte den jubelnden Menschen zu und wirbelte zwischen den Schneeflocken herum.
    Der De Soto parkte vor der Werkstatt. Der Gedanke, dass Micke gar nicht da sein könnte, war ihr überhaupt nicht gekommen.
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