Die Flüchtende
ist in den Kaufdokumenten niedergelegt. Außer uns hat ihn aber nie jemand benutzt.»
Sie schwieg und blickte übers Wasser. Dann fasste sie sich wieder.
«Ja, Sie wollen das Haus natürlich von innen sehen?»
«Ja, bitte.» Sibylla lächelte.
« Er vielleicht auch?»
Sie nickte in Patriks Richtung, der noch einen Stein warf. Sibylla nickte.
«Patrik, möchtest du das Haus von innen sehen?», rief sie.
In aller Gemütsruhe holte er zu einem weiteren Wurf aus, bevor er sich umdrehte. Gunvor Strömberg sah Sibylla an und lächelte.
« Das ist ein schwieriges Alter, ich weiß, wie das ist. Man kann sie leider nur gewähren lassen.»
Sibylla versuchte einvernehmlich zu lächeln. In was für einem Alter er war, würde er schon zu spüren kriegen, sobald sie von hier weg waren.
Die Frau ging voraus und Sibylla wartete auf Patrik, der lässig auf sie zugeschlendert kam. Als er auf Flüsterweite herangekommen war, zischte sie ihn an:
«Reiß dich jetzt zusammen, verdammt nochmal! Sie glaubt, wir wollen das Haus kaufen.»
Er sah sie an und zog die Augenbrauen hoch.
«Mach das. Du hast ja Geld.»
Er ging an ihr vorbei.
Es war merkwürdig. Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche hatte sie jemanden enttäuscht, nur weil sie Geld hatte. Wie um alles in der Welt war das bloß möglich?
Gunvor Strömberg war schon beim Haus und Sibylla beeiltesich nachzukommen. Patrik gab ihr die Hand und stellte sich vor. Höflich und gewandt.
«Gehen Sie nur rein und sehen Sie sich um. Ich warte hier draußen.»
Sie sahen sich an, stiegen die kleine Steintreppe hinauf und öffneten die Tür.
«Es ist nicht sehr groß, aber es ist fast alles vorhanden, was man braucht», rief Gunvor Strömberg. «Der Boiler ist schon alt und muss wohl früher oder später ausgetauscht werden.»
Sibylla nickte und trat über die Schwelle.
Hier war der Mörder vermutlich auch einmal eingetreten.
Sie sah sich um. Nach ein paar Schritten stand sie in einer kleinen Küche. Alles wirkte sauber und ordentlich. Bewohnt. Eingewohnt. Auf dem Fußboden Spuren von Küchenstühlen, die hunderte Male herausgezogen worden waren. Das über Jahre hin vom Griff hungriger Hände abgeschabte Email am Riegel der Ofentür.
Es roch schwach nach Malerfarbe.
Patrik war weitergegangen und hatte die Tür eines Zimmers geöffnet. Jetzt stand er auf der Schwelle und machte Sibylla ein Zeichen, sie solle kommen.
Das Zimmer war weiß getüncht und völlig unmöbliert.
Patrik zog die aufgerollten Zettel aus der Innentasche seiner Jacke und nahm einen davon heraus.
«Das ist die Wand», flüsterte er.
Sibylla betrachtete das Bild mit dem blutbefleckten Bett und las noch einmal den Text, den der Mörder mit ihrem Namenszug versehen an der Wand hinterlassen hatte.
Sie wollte jetzt raus.
Gunvor Strömberg war zum Steg hinuntergegangen. Sie stand mit dem Rücken zum Haus und blickte übers Wasser. Sibylla zögerte einen Moment. Patrik kam nach draußen und stellte sich neben sie.
«Geh runter und unterhalte dich mit ihr.»
Sie sah ihn an.
«Wir haben ja noch nichts Brauchbares herausbekommen», fuhr er fort. «Ich bleibe hier oben und schau mich noch ein bisschen um.»
Er hatte Recht. Nun waren sie schon so weit gekommen, da mussten sie auch weitermachen.
Gunvor Strömberg verriet mit keiner Bewegung, dass ihr bewusst war, dass sie auf dem Steg Gesellschaft bekommen hatte. Sie starrte weiterhin übers Wasser, und erst als Sibylla sich räusperte, hob sie die Hand ans Gesicht; Sibylla sah, wie sie sich über die Augen wischte. Sie drehte sich aber nicht um.
«Das ist hier wirklich ein phantastisches Fleckchen», sagte Sibylla versuchsweise.
Die Frau reagierte nicht. Sibylla stand ruhig da. Irgendwann würde das Schweigen die andere Frau schließlich zum Sprechen bringen.
Dieses Fleckchen war alles, was sie sich erträumt hatte. Die Abgeschiedenheit. Die Stille. Und dann diese unglaubliche Aussicht! Aber so etwas würde sie sich niemals leisten können. Nie und nimmer. Bald würde sie sich überhaupt nichts mehr leisten können.
«Ich kann es Ihnen genauso gut gleich sagen, dann brauchen Sie es nicht durch den Klatsch zu erfahren», sagte die Frau vor ihr plötzlich und wandte sich um. «Sie sind nicht von hier, wie?»
«Nein.»
Sie nickte und wandte sich wieder dem Wasser zu.
«Das dachte ich mir schon.»
Sibylla ging zu ihr hin und stellte sich neben sie. Das Beste, was sie jetzt machen konnte, war schweigen.
«Mein Mann wurde vor sechs Tagen hier
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