Die Flüchtlinge des roten Mondes
er, er muß doch einen Namen haben und was immer das Kirgon-Äquivalent von Rang und Stellung ist. Er muß Freunde verloren haben, vielleicht auch eine Familie. Wenn nicht, dann hat er irgendwo eine Familie. Er ist ein ziemlich normaler Vertreter, glaube ich, wenn auch ziemlich merkwürdigen Rasse. Er kann nicht einmal ein herausragender Vertreter sein – weil er fortgelaufen ist und sich versteckt hat, anstatt zu kämpfen. Aber seinen Namen hat er uns nicht verraten, hat auch nicht nach unseren gefragt.
Wir kennen den Namen des Sklavenhundes, aber nicht seinen. Er hat Dravash ‚Sh’fejj’ genannt. Wahrscheinlich redet er alle Vertreter niederer Rassen sowieso als ‚Sklaven’ an. Nein – uns hat er ‚untermenschliche Tothäute’ genannt.
Aber warum haben wir ihn nicht nach seinem Namen gefragt? Nicht einmal Dravash hat das getan.
Dane fragte sich, ob das vielleicht ein Versuch war, die Kirgon nicht zu Personen werden zu lassen, ein Individuum nach ihren Vorstellungen? Wollte man ihn einfach für einen Fremden halten – den Feind?
Hinter ihnen schrie ein Mann den entsetzlichen Schrei von Schmerz und Grauen. Andere Stimmen klangen aus der Entfernung.
Der Kirgon drehte sich um und hell blitzten die Zähne auf der dunklen Haut auf.
„Schnell werden sie nicht folgen können“, sagte er.
Dane dachte an Meister Rhomda und an alles, was er über den Anka’an-Orden gehört hatte, all die kleinen Fetzen. Er erinnerte sich an die höfliche Unwilligkeit des Speermeisters, Aratak zu töten, eine Höflichkeit, die sie erwidert hatten, indem sie ihm seinen Speer beließen. Plötzlich wurde Dane übel. Was tat er hier, wenn er mit diesem … diesem Sklavenjäger herumlief, diesem Piraten, diesem Eindringling, der lächelte, während sein schauderhaftes Monster eine Gruppe guter, anständiger Leute zerriß, die ihre Heimat vor Dämonen schützen wollten. Und wer, der den Sklavenhund einmal gesehen hatte, konnte es ihnen übel nehmen? Es war nicht fair. Er stand auf der falschen Seite. Jederzeit, wenn er die Wahl hätte, würde er sich auf Meister Rhomdas Seite schlagen …
Doch das war nicht möglich. Er hatte keine Wahl gehabt.
17
Licht drang durch die Blätter vor ihnen – das Ende des Laubtunnels, das von den letzten Strahlen Belsars beschienen wurde. Sie eilten weiter. Hinter ihnen, aber in beträchtlicher Entfernung von den früheren Schreien und Rufen, hörte man einen schrecklichen, rauhen Todesschrei. Der Kirgon lachte.
„Windsbraut“, sagte er. „Er ist auf die andere Gruppe gestoßen. Er zieht von einer zur anderen und hält sie beide in Schach – und von uns fort. Jedesmal, wenn er zuschlägt, stirbt ein Mann.“
Seine Augen sahen nun anders aus. In der Dämmerung schien es, als habe er eine bewegliche Pupille, nicht mehr diese unangenehme Leere. Offensichtlich paßten sich die Augen an die jeweiligen Lichtverhältnisse an.
Wie eine eingebaute Sonnenbrille, dachte Dane. Der Kirgon trat ins Licht und erstrahlte wieder in Helligkeit. Das Haar reflektierte funkengleich den Sonnenschein.
Luzifer, der flammende Engel, der Lichtträger … ich werde ebenso abergläubisch wie Joda, dachte Dane wütend. Doch der Gedanke blieb hartnäckig. Luzifer, Sohn des Morgens, wie tief bist du gefallen …
Sie gelangten zum Rand einer kleinen Seitenschlucht. Unter ihnen hatten Wind und Wetter den rauhen Sandstein zu verdrehten Gebilden ausgewaschen, die Dane, mit einem Stachel von Heimweh, an Arizona denken ließen. Sie blickten hinab auf die breiten Vorsprünge bis zum Grund der Schlucht, wo ein kleiner Fluß sich mühte, sein Bett in die Glasfelsenschicht zu sägen.
„Was ist das?“ Aratak wies auf eine Stelle, wo etwas aus der Wand der Schlucht vorsprang. Es sah aus wie eine riesige Blase aus dem Kristallfelsen, die an einer Seite abgebrochen war.
„Ein Haus“, antwortete der Kirgon, und seine Haut kräuselte sich bei der Bewegung zu prismatischen Farben. Das mußte nach Danes Meinung ein Grinsen gewesen sein. „Jawohl, ein Haus, eines meiner Lieblingsverstecke. Ein versteinertes Haus. Kommt und seht es euch an!“
Er führte sie hinab. Dane war froh, daß es einen begehbaren Pfad gab und keinen Abstieg über die bloßen Felsen. Sein verletzter Arm schmerzte höllisch. Er fragte sich, ob Rianna noch weitere schmerzlindernde Mittel in ihrem Gepäck hatte.
Die Glasblase war nicht ganz regelmäßig, eher quadratisch als rund, und an den Rändern verliefen Wülste. Wie geschmolzene Wände.
An
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