Die Flüchtlinge des roten Mondes
Rianna, die ihn genau beobachtete. „Du weichst immer noch zurück, und zwar gerade in dem Moment, in dem du angreifen solltest. So …“ Sie trat mit einer raschen Bewegung auf ihn zu, und unfreiwillig zuckte er zurück.
Man muß ihn ständig geschlagen haben. Das macht manche Kinder trotzig. Aber manche macht es furchtsamer. Schläge sind nichts gegen Feigheit, aber genauso muß ihn sein Vater behandelt haben.
Rianna blieb mitten in der Bewegung stehen. Mit einer Sanftheit, die Dane überraschte, sagte sie: „Joda, weißt du denn immer noch nicht, daß ich dir nicht weh tue? Meine Verteidigung stand offen – sieh. Alles, was du zu tun hattest, war, mich so zu schnappen …“ Und sie griff nach seinem Arm und zeigte ihm den Griff, den sie hatte provozieren wollen, doch wieder zuckte er zusammen und trat außer Reichweite.
„Ihr habt mir aber neulich weh getan“, verteidigte er sich. „Hier, man sieht es immer noch.“
Riannas Wut flammte auf. Sie öffnete den Mund für eine scharfe Entgegnung.
„Eines Tages wirst du auf jemanden treffen, der dir wirklich weh tun will, und wenn du dann nicht darauf vorbereitet bist …“ begann sie, dann beherrschte sie sichtlich ihre Gereiztheit und sagte ruhiger: „Geh doch lieber da rüber in den Sand und übe, dich fallen zu lassen, bis du weißt, daß Hinfallen nicht so weh tut, wie du denkst. Dein schlimmster Feind sind nicht die Hiebe, die du abbekommst, sondern die Angst, die du vor ihnen hast.“
Unterwürfig und mißmutig ging der Junge zur anderen Seite des Hofes, und Rianna kam auf Dane zu, wobei sie sich mit einem ihrer zigeunerhaften Kopftücher den Schweiß von der Stirn wischte.
Dane sah hinter Joda her und meinte: „Ziemlich hoffnungsloser Fall, nicht wahr?“
„Es geht“, verteidigte sich Rianna, „aber er paßt keineswegs in diese Kultur.“
„Ich glaube“, sagte Dane und senkte die Stimme, damit der Junge ihn nicht hören konnte – pflichtgemäß führte er die Grundübungen der Entspannung aus und versuchte, so schlaff wie möglich in die Sandgrube zu fallen –, „er wäre auf jeder Welt ein Unglücksrabe.“
„Warum magst du ihn nicht, Dane?“
„Ich weiß es nicht. Er ist …“ – Dane suchte nach dem richtigen Wort – „… er ist ungezogen. Gemein. Sarkastisch. Ein Feigling. Ich kann ihn einfach nicht sehen, das ist nun mal so.“
Rianna zuckte die Achseln. „Diese Welt ist feindselig gegenüber jedem, der nicht über den Mut oder die Kampftechnik verfügt, ihr entgegenzutreten. Wie würdest du dich fühlen, wenn dir dein ganzes Leben lang nur Feindseligkeit entgegenschlägt? Auch du wärest wahrscheinlich auf gemeine, miese Weise aggressiv.“
Dane hatte seine Zweifel, ob ihn irgend etwas so widerspenstig machen würde, und sagte es auch.
„Das Problem bei dir ist“, gab Rianna scharf zurück, „daß du keine Vorstellungskraft besitzt. Eigentlich hast du viel Ähnlichkeit mit dem Vater des Kleinen. Du verachtest ihn, weil er nicht so mutig ist wie du. Wenn er auf einer zivilisierten Welt groß geworden wäre, säße er jetzt in irgendeiner Universität und würde Wissenschaftler, Astronom oder irgend etwas anderes, was seiner Begabung entspräche. Und er wäre ein anderer Mensch! Ich versuche lediglich, ihm beim Überleben zu helfen! Warum kannst du mir nicht dabei helfen, anstatt dich so ablehnend zu verhalten? Es klappte gut mit ihm, bis du gekommen bist, und dann ist er wieder erstarrt, weil er weiß, daß du ihn verachtest und unfreundlich behandelst.“
Dane sagte stirnrunzelnd: „Vielleicht gehe ich ihm besser aus dem Weg!“ Warum, zum Teufel, war Rianna diesem Jungen gegenüber so unverschämt beschützend geworden? Er hatte bei ihr niemals einen mütterlichen Instinkt vermutet, und es paßte auch nicht zu ihr! Er sagte: „Mir scheint, wir verbringen unsere Tage hier ausschließlich damit, über diesen Jungen zu streiten.“
Ihre Miene wurde weicher. „Das stimmt. Das tut mir auch leid, Dane.“ Ihr Arm glitt unter seinen. „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, oder? Mein Gott, er ist doch noch ein Kind!“
Eifersüchtig? Dane prüfte sich selbst. Nein, so nicht, wenn er auch eine ganze Menge dagegen einzuwenden hatte, wieviel Zeit und Energie Rianna an den Jungen verschwendete, und natürlich hatte sie dadurch weniger Zeit für ihn. Er drückte ihren Arm fest an sich, wandte sich ihr zu, um seine Wange an ihre zu legen, und sagte: „Aber du mußt auch zugeben, daß uns einiges abgeht, wenn wir
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