Die Flüchtlinge
klar, daß wir dieses Spiel nicht hinbekamen. Die Kasiren gaben dem Ball einen solchen Schwung, daß er über die Kaedos hinwegsegelte und verschwand, was natürlich nicht so gut war, da wir nicht allzu viele hatten. Ihr Gerenne hingegen war keinen Pfifferling wert. Natürlich konnten sie mächtige Sätze machen und auf diese Weise lange Strecken zurücklegen, aber auf kurzen Strecken konnten sie uns nicht das Wasser reichen. Also bestand das Spiel entweder darin, daß sie den Ball ins Aus schlugen, woraufhin eine wilde Jagd einsetzte, um ihn wiederzufinden, oder darin, daß wir unsere ganze Kraft einsetzten und die Kasiren lässig Zugriffen und die Bälle aus der Luft holten, bevor sie überhaupt nur in die Nähe des Bodens gekommen waren. Kein Wunder, daß unsere Läufer darauf mit Langeweile reagierten. Am Nachmittag waren wir erschöpft und gereizt. Tabor entschuldigte sich, humpelte davon und schleifte seine Kinder hinterher.
Er schien anderen davon erzählt zu haben, denn am nächsten Tag tauchte Medi Lount mit einer anderen Idee bei uns auf. Wir lungerten gerade auf dem verwaisten Marktplatz herum und vollführten einen unsinnigen Spektakel, als sie aus ihrem Atelier kam und verlangte, daß wir uns entweder davonmachen oder etwas Nützliches tun sollten. Wir rechtfertigten uns. Medi ist eine Art Historikerin. Sie sagt, daß der größte Teil antiker Statuen den Sport versinnbildlicht, und hat in diesem Bereich auch einige Forschungen betrieben. Sie erzählte uns etwas über ein Spiel, das man auf Terra, dem Geburtsplaneten meiner Eltern, gespielt hat: Die Hälfte der Spieler waren Läufer, die einen Ball mit sich schleppten, die anderen hatten sie zurückzuhalten, ihnen den Weg zu blockieren. Wir probierten es sofort auf dem Marktplatz aus.
Das muß man sich mal vorstellen: Menschen, die eineinhalb bis zwei Meter groß sind und zwischen fünfzig und siebzig Kilo wiegen (außer Wim, der der dickste von uns war), und Kasiren, von denen der kleinste neunzig Kilo wog und zweieinhalb Meter maß. Wenn die Menschen den Ball hatten, war es, als würden sie gegen eine Mauer mit grauem Pelz und vielen Armen anrennen. Hatten jedoch die Kasiren den Ball, mußte jeder einzelne von sechs Mann gedeckt werden, die sich schließlich an sie hingen, als ginge es um ihr Leben. Und trotzdem war der Effekt gleich Null. Spielten wir mit gemischten Teams, fanden statt eines Spiels zwei statt – eins spielten die Menschen, das andere die Eingeborenen. Es war ein kompletter Reinfall, aber wir brauchten zwei Tage, um es uns einzugestehen. Medi ging schließlich achselzuckend zu ihrem Ton zurück.
Ved schlug uns ein Spiel vor, das darin bestand, Bälle in ein Netz zu werfen. Es endete damit, daß die Kasiren ständig vor dem aufgehängten Netz standen und einen Ball nach dem anderen hineinwarfen. Wenn wir einmal den Ball hatten, fiel es ihnen natürlich schwer, ihn uns wieder abzujagen, aber wenn er ihnen in die Hände fiel, hätten wir das Spiel auf der Stelle abbrechen können. Denn eine Chance, ihn je zurückzubekommen, war kaum zu erwarten.
Es fing an, so auszusehen, als sei das einzige, was in diesem Sommer passierte, das Entstehen einer Kluft zwischen den Menschen und den Kasiren war. Wir entdeckten allerhand, was sie hatten und wir nicht. Wir wurden immer erwachsener, und unsere Sexualität erwachte. Die physischen Unterschiede waren uns immer schon bekannt gewesen: Sie waren stark, wir hingegen leicht zu erschöpfen. Jetzt mußten wir mit einer ganz anderen Unterschiedlichkeit fertig werden. Wir alle sahen ihr mit einem zunehmendem Mißmut entgegen.
Der Sex, den wir in diesem Sommer entdeckten, war für uns das Wichtigste auf der Welt – nach den Spielen natürlich. Wir Menschen kennen zwei Geschlechter: Das eine bekommt die Kinder und säugt sie; das andere kann dies nicht. Auch die Kasiren hatten zwei Geschlechter. Eines davon war mit einer Gebärmutter ausgestattet. Aber damit endete die Ähnlichkeit auch schon: Ihre Kleinen werden als Fötus geboren; danach klettern sie in einen Beutel und wachsen dort weiter heran. Dabei ist es unerheblich, in wessen Beutel sie sich begeben: Die männlichen Eingeborenen können sie ebenso ernähren wie die weiblichen, und es kommt sehr oft vor, daß ein Kasirenjunges von einem Erwachsenen zum anderen weitergereicht wird – entweder als Zeichen der Liebe, als Beweis des Vertrauens oder ganz einfach aus einer reinen Laune heraus. Wir fingen an zu verstehen, inwiefern sich dies von
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