Die Flüchtlinge
Wenn sie die sich über sie beugenden Menschen erkannte, so zeigte sie es nicht.
„Warum?“ sagte Quilla. Ihre Stimme war unnatürlich glatt; wie die ihrer Mutter, wenn sie wütend oder verunsichert war. Oder verängstigt.
„Sie benötigten eine Gebärmutter“, sagte Hoku und vollführte eine Geste. Laur hob den Kopf und warf einen Blick auf die verschiedenartigen Krüge. Im ersten Moment verstand sie gar nicht, was sie da sah, dann wurde ihr klar, daß die Behälter Kasirensäuglinge und -embryos enthielten. Embryos aller Größen. Einige davon waren aufgeschlitzt worden, anderen hatte man die Haut abgezogen, und wieder andere sahen aus, als hätte man ihr Innerstes nach außen gekehrt. In den unteren Behältern befanden sich Monstren: bepelzte, halbmenschliche Formen. Kasiren, die statt der üblichen vier nur zwei Arme hatten. Sie sah einen mit Beutel ausgestatteten menschlichen Fötus. Andere sahen dermaßen verdreht und fremdartig aus, daß es unmöglich war zu sagen, welcher Spezies sie überhaupt angehörten.
„Mit Genmanipulation hat es nichts zu tun“, sagte Hoku. „Dafür haben sie nicht die Ausrüstung. Aber Transplantationstechniken und Embryoaustausch – solche Dinge können sie tun. Pflanze irgendwas in einen Embryo ein, rühre es herum und warte ab, was dabei herauskommt.“ Die Stimme der Ärztin brach plötzlich. Sie wandte sich um.
„Aber die menschlichen Embryos …“ sagte Laur.
Hoku zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht, wo sie die herhaben. Von uns jedenfalls nicht. Obwohl sie gar nicht die Ausrüstung haben, um an Genen herumpfuschen zu können, haben sie doch einiges erreicht, nehme ich an. Ich will es aber gar nicht wissen.“
Quilla streckte den Arm aus und berührte die Eingeborene am Hals. Der Körper bewegte sich sanft, aber die Augenlider regten sich nicht.
„Sie lebt noch“, sagte Quilla.
„Nur rein technisch.“
Quillas Hand packte die Leitungen und zog sie heraus. Die Eingeborene zuckte, schloß die Augen und rührte sich nicht mehr.
„Geben Sie mir den Lähmer“, sagte Quilla.
Hoku schüttelte den Kopf. „Nein, Quil.“ Die Ärztin sah zwar müde und krank aus, hatte aber ihre Tatkraft nicht verloren. „Diese Toten hier sind genug. Ich behalte den Lähmer selbst.“
Quilla und Hoku sahen sich an. Laur beobachtete sie, bis Quilla hilflos die Arme ausbreitete und sich wegdrehte.
„Sie werden bald wiederkommen“, murmelte sie.
„Gut“, sagte Hoku und blies die Lampe aus.
Laur setzte sich auf den Boden und machte die Augen fest zu. Unter ihren Lidern blitzten helle Lichter. Sie beobachtete sie, ohne nachzudenken, bis Hart und Gren zurückkehrten.
Ihr Auftauchen beendete die Spannung, die sich in Laur breitgemacht hatte. Sie hörte das Geräusch einer sich öffnenden Tür, Schritte, ein Flüstern. Als Hart erkannte, daß seine Regalwand sich nicht mehr an ihrem Platz befand, stieß er einen Fluch aus. Er sagte, daß es sich offenbar nicht um einen gewöhnlichen Einbruch handele. Gren murmelte eine Erwiderung. Sie drangen vorsichtig in den dunklen Keller ein. Gren kam als erster. Die Frauen drückten sich noch enger an den Boden. Als Hart die Leiter ebenfalls hinter sich gebracht hatte, stand Hoku mit dem Lähmer in der Hand ruhig auf. Gren langte nach einem Gegenstand, um sie damit zu bewerfen. Hoku schoß ihn mit dem niedrig eingestellten Lähmstrahl nieder. Hart sah zu, wie Gren umfiel, dann grinste er Hoku an und sagte: „Oha!“
Aber sein Lächeln verflog, als er Quilla und Laur ins Licht treten sah. Von diesem Augenblick an sprach er kein Wort mehr, weder während der Zeit, in der Quilla Jason und Mish holte, noch während der schweigsamen Rückkehr zu ihrem Anwesen oder des zurückhaltend geführten, schmerzlichen Verhörs im abgeschlossenen Wohnzimmer. Laur musterte Harts ausdrucksloses Gesicht und fand darin immer weniger von dem Kind, das sie einst geliebt und verwöhnt, bemuttert und ermahnt hatte. Sie kam sich vor wie auf einer Totenwache – als sei jemand, dem sie einst zugetan gewesen war, gestorben und man habe sie des zu beklagenden Leichnams beraubt.
Am nächsten Abend kehrten Jason und Quilla zu Harts Haus zurück, begruben die tote Eingeborene und die Kleinen und zerstörten das Laboratorium. Jemand packte Harts persönliche Besitztümer zusammen, tat das gleiche mit denen Grens und brachte sie zum Haus der Kennerins. Und am nächsten Morgen, während eines trügerischen Sonnenaufgangs, überprüften Hetch und Jes das
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