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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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zusammen, legte die Nachricht auf den Tisch und sah uns an, als seien wir eine Versammlung von Fremden. Für ihn waren wir das sicher.
    „Ihr huldigt einem Leichnam“, sagte er mit flacher Stimme. „Jason ist tot, das wißt ihr selbst. Jason ist tot, seit dieser Mörder die Kontrollen berührte; seit unser Bruder ihn umgebracht hat. Auch das wißt ihr.“
    „Hör mich an, Jes“, sagte Tabor.
    Jes überging ihn einfach. „Was glaubt ihr eigentlich, was ihr da tut?“ schrie er. „Wollt ihr ihn etwa konservieren, damit es nur noch schlimmer wird, wenn Mish heimkommt? Sie hat mit seinem Tod gerechnet, seit er nach Aerie zurückkam. Sie wußte, daß er zu Hause sterben wollte und würde, auch wenn ihm selbst dies unklar war. Glaubt ihr etwa, es würde leichter für sie sein, nach Hause zu kommen und einen Abklatsch ihres Mannes hier vorzufinden, der zwar jung ist und atmet, aber ansonsten nicht das geringste von Jason in sich hat? Was seid ihr – eine Familie von Ghoulen?“
    „Es ist meine Schuld“, sagte Meya. „Die anderen wollten es schon tun, aber ich habe sie daran gehindert.“
    „Dann kannst du es jetzt tun“, sagte Jes und verließ den Raum.
    Ich glaube, er war feige. Wenn irgendeiner von uns es tun konnte, dann war er es, und er hätte es auch tun sollen. Aber wir sagten nichts, bis Meya sich erhob und hinaufging. Eine Stunde später kam sie wieder herunter. Wir hörten, daß sie sich im Korridor ihr Ölzeug anzog, die Tür öffnete und wieder hinter sich schloß. Ozchan stand auf, aber Tabor schüttelte den Kopf und ging selbst. Er folgte Meya durch die Ortschaft zum Dorf der Eingeborenen, wo sie in Telorets Behausung verschwand. Er ließ sie dort zurück, wo sie schon einmal Zuflucht und Hilfe gesucht hatte.
    Sie hatte es mit einer Digitalis-Ladung getan, einer Droge, die Ozchan in seinem Zimmer für Notfälle aufbewahrte.
    Zwei Tage später kehrte Mish heim.

 
Sechster Teil
 
1233-1234
Neuer Zeitrechnung
 
Vorfrühling
     
    „Gegen die Dummheit einer Kuh oder eines Pavians ist nichts einzuwenden; die Dummheit eines Tiers aber, das zur gleichen Spezies gehört wie Shakespeare, ist einfach schändlich.“
     
    Aldous Huxley
     

 
1
     
    Mish landete auf Aerie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ihre Familie erwartete und beobachtete sie, als sie den Hügel hinaufkam und das Haus betrat. Meya breitete die Arme aus, aber Mish drückte sie beiseite und sah sich um.
    „Wo ist er?“ fragte sie.
    Quilla ließ Tabors Hand los und trat vor. „In Haven“, sagte sie. „Der Sargtischler …“
    „Bringt ihn zurück. Dies ist sein Heim. Er gehört hierher.“ Sie wandte sich um und sah Meya und Ozchan an. „Sie sind M’Kale? Wir reden später miteinander. Wo ist Mim?“
    „Hier, Quia Mish.“
    „Wir werden Wein, Bier, Brot und Fleisch brauchen. Quilla, sorge für die Einladungen zur Totenwache. Heute abend.“
    Die phlegmatische Mim sah auf Mish herunter, verschränkte die Arme vor der Brust und setzte ein grimmiges Gesicht auf. „Quia Jason hätte kein solches Getue gewollt“, sagte sie.
    „Dann warst du wohl seine Vertraute, nehme ich an?“
    „Mim hat recht“, sagte Tabor ruhig. „Er hätte es lieber gehabt, wenn man seiner in Stille gedenkt.“
    „Dann werden wir seiner in Stille gedenken. Bewegt euch. Holt die Sachen aus dem Lagerraum. Und räumt dieses Zimmer auf.“
    Quilla fing Meyas Blick auf und formte mit den Lippen das Wort „Hoku“. Meya nickte und begab sich zur Tür.
    „Wohin gehst du?“ sagte Mish.
    „Nach Haven, um Klein zu sagen, daß er Jason zurückbringen soll“, sagte Meya ruhig.
    Mish starrte sie an, dann nickte sie und ging ebenfalls hinaus. Quilla ging hinter ihr her und hielt an, als sie Mish an der Treppe stehenbleiben sah.
    „Was ist das?“
    „Die Rampe für Jasons Rollstuhl. Damit er die Treppe rauf- und runterkam.“
    „Welcher Rollstuhl?“
    „Ich habe ihm einen gebaut. Er konnte damit herumfahren und hatte auch Platz für die Geräte, die ihn am Leben erhielten. Er hat ihn nicht oft benutzt!“
    „Jason in einem Rollstuhl?“ Zum erstenmal klang sie unsicher. Die Zwillinge erschienen am oberen Ende der Treppe und schauten sie ernst an. Sie hielten sich an den Händen. Mish keuchte und drehte sich so schnell um, daß sie gegen Tabor prallte.
    „Kümmert euch um eure Kinder“, schrie sie und rannte an ihm vorbei. Mim kam aus dem Zimmer, schenkte Quilla einen undurchsichtigen Blick und tauchte in der Küche unter.
    „Quia Kennerin …“ sagte

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