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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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ihn an. „Ändern Sie das.“
    Hart starrte sie an; dann schüttelte er erneut den Kopf.
    „Wenn der Regent mich nicht entjungfern kann, müssen Sie es tun. Sonst wird es nicht funktionieren.“ Ihr Körper verkrampfte sich unter seinem Griff; es schien, als erwarte sie einen großen Schmerz. Opfer. Hart mußte an sich halten, um ruhig zu bleiben. „Mach es“, sagte sie.
    „Es wäre nur ein Benutzen“, sagte Hart.
    „Mach es.“
    „Sie werden es bereuen.“
    „Mach es.“
    Hart machte eine hilflose Geste, aber ihre rätselhafte Ruhe nahm ihn gefangen, und er öffnete seine Kleider. Sie versteifte sich auf der Stelle, rutschte ihm entgegen, bog schweigend den Kopf zur Seite und umschlang seinen Rücken.
    Als sie sich entspannt hatte, berührte er das Blutgefäß an ihrem Hals und drückte zu.
    Der Erzbischof war vor dem erloschenen Kaminfeuer in einem Sessel eingeschlafen. Er zuckte erschreckt zusammen, rieb sich die Augen und folgte Hart zu dem wartenden Wagen. Hart trug die eingehüllte Gemahlin des Regenten auf den Armen. Unter der Decke streichelte seine Hand ihre ebenmäßige Schulter.
     
    Er rollte sich schwerfällig auf die Seite, vergrub die Finger in den Decken, und seine Lippen formten abwehrende Worte. Er träumte, daß er über den Friedhof von Aerie ging, der in der Nähe seines Elternhauses lag und an den anklagend ausgestreckten Fingern seiner Familie vorbei zum Grab seines Vaters eilte. Als er dort ankam, ging das Grab in Flammen auf. Er lief auf den Fluß zu, aber die tote Laur versperrte ihm den Weg. Als er sich umwandte, ging seine Familie langsam durch die Flammen, ohne daß sie ihnen etwas taten. Sie sahen ihn nicht an. Er ging zum Grab zurück, aber die Hitze verhinderte, daß er ihm zu nahe kam.
    Er saß weinend auf der Tenne und fühlte sich klein und elend. Seine Schwester umarmte ihn und flüsterte beruhigende Worte, aber als er aufsah, wurde ihr Gesicht zu dem seiner Mutter, zu dem des Erzbischofs, zu dem des Regenten. Der Regent öffnete Harts Hand und förderte einen toten Vogel zutage. Aus dem Vogel wurde eine Spinne, aus der Spinne sein Sohn. Er nahm das Kind an die Hand und spazierte mit ihm am Hafen von Saltena entlang. Er versuchte dem Jungen etwas Wichtiges zu erzählen, aber bevor es ihm über die Lippen kam, hatte er es schon wieder vergessen. Das Kind lachte ihn an. Der Erzbischof, der in einem Schnapsfaß ertrank, sprach von der Seele. Die Gemahlin des Regenten stand nackt vor ihm. Ihr Leib wölbte sich. Als sich ihr Bauch bewegte, erkannte Hart unter ihrer weißen Haut die Umrisse eines Ziegenbocks. Sie sah ihn mit ruhigen, grünen Augen an. Als er die Hände nach ihr ausstreckte, löste sie sich in Nebel auf und ließ den blökenden Bock zu seinen Füßen zurück. Spider sprang in das Faß hinein und versteckte sich in der schwarzen Robe des Erzbischofs. Der Regent bellte wie ein Hund, muhte wie ein Kalb und gebärdete sich wie die Axt im Walde. Hart stöhnte. Er war gefangen zwischen den Decken, aber es wurde noch immer nicht hell.
     
    Obwohl die versammelten Musiker und der Chor sich alle Mühe gaben und der Dirigent ekstatisch die Arme schwenkte, bestand ihre Tätigkeit aus purer Energieverschwendung, denn die Darbietung ging im Lärm des völlig überfüllten Ballsaals gnadenlos unter. Die Höflinge, die den kleineren Thron umgaben, verbargen die rundliche Gestalt der Regentengemahlin vor den Blicken der Anwesenden. An den langen Tafeln wurde gegessen; überall wimmelte es von diensteifrigen Lakaien, die den Gästen Speisen und Getränke servierten. Der durch die geöffneten Fenster hereindringende Blumenduft verlor sich im Parfüm der anwesenden Damen. Hinter den Palastmauern leuchtete die Stadt – auch dort wurden Feste gefeiert. Saltena begegnete der Schwangerschaft der Regentengemahlin mit Überfluß und Alkohol. Wenn jetzt noch jemand irgendwelche Zweifel hatte, so hütete er sich jedenfalls, sie auszusprechen.
    Hart saß in der Nähe des Podiums und beobachtete die Gemahlin, die hin und wieder zwischen den zahlreichen Gratulanten und Leibärzten sichtbar wurde. Sie lachte viel, schien sich gut zu amüsieren und freute sich über die große Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde. Sie war eben ein Mädchen vom Land. Hart musterte sie mit zynischer Neugier und war davon überzeugt, daß sich hinter ihrem erfreuten, blassen Gesicht keine Knochen und Muskeln verbargen, sondern ein komplexes, unauslotbares Labyrinth. Die Gemahlin wandte jetzt den Kopf. Ihr Blick

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