Die Flüchtlinge
Verschlüsse des Medizinkastens und entnahm ihm Atemmasken und Luftpumpen. Nachdem er den Patienten die Masken aufgesetzt hatte, fingen die Pumpen leise an zu zischen. Hoku nickte befriedigt und beugte sich über eine dritte Gestalt. Quilla reckte den Hals und erkannte in ihr Tabor Grif. Sein Gesicht war noch blasser als sonst, und er preßte die Lippen fest aufeinander. Hoku schnitt seine Hose auf. Grifs linke Hüfte war mit teilweise auslaufenden Brandblasen bedeckt.
„Das tut weh, was?“ fragte die Ärztin. Tabor nickte.
„Gut.“ Hoku wandte sich um. Ihr Blick fiel auf Quilla.
„Öffne meine Tasche, Mädchen.“ Hoku gab ihr ein Zeichen, und Quilla berührte den Verschluß. Die Tasche war in eine überraschend große Anzahl von Einzelfächern unterteilt. „Oben links. Ich brauche die rote Ampulle und die Hypospritze daneben.“
Quilla entnahm der Tasche das Gewünschte und gab die Ampulle und die Spritze an die Ärztin weiter. Dr. Hoku füllte die Spritze mit der roten Flüssigkeit und drückte sie mit geschickten Fingern gegen Tabors Hüfte. Das Gesicht des Mannes verzerrte sich. Dann entspannte er sich leicht.
„Schon besser“, sagte er. „Tut aber immer noch weh.“
„Es braucht seine Zeit. Sie da“, sagte Hoku zu Hetch, „bringen Sie mir den Medizinkasten. Haben Sie je zuvor mit Verbrennungen zu tun gehabt?“
Hetch nickte. „An Bord.“
„Das reicht. Ich brauche jemanden. Dich, Mädchen. Und daß du dich bloß nicht übergibst, verstanden?“
Quilla nickte, holte tief Luft und kniete sich neben Tabor ins Heu. Er versuchte sie anzulächeln, und bevor sie ihre Aufmerksamkeit der Ärztin zuwandte, berührte sie kurz seinen Hals. Hetch entnahm dem Kasten und der Arzttasche einige Instrumente und Drogen. Hoku arbeitete wie eine Besessene, während Quilla die benutzten Instrumente in Empfang nahm und in einen Beutel tat. Während Hoku an ihrem Patienten herumschnippelte und die Wunden reinigte, gab Tabor hin und wieder ein leises Wimmern von sich. Quilla legte ihre Linke auf seine Schulter. Tabor bedeckte sie mit seiner Rechten und preßte sie jedesmal, wenn die Schmerzen zu groß wurden. Obwohl Quilla alles tat, um nicht in die Wunden zu sehen, an denen Dr. Hoku herummanipulierte, konnte sie nicht vermeiden, daß der Geruch des verbrannten Fleisches in ihre Nase drang. Tabor verlor das Bewußtsein.
„Er ist besinnungslos“, sagte Quilla.
Hoku legte eine Hand auf Tabors Handgelenk, dann nickte sie. „Mit ihm ist alles in Ordnung“, sagte sie und setzte mit fliegenden Fingern ihre Arbeit fort.
Schließlich schüttete sie ein Heilmittel über Tabors Hüfte und ordnete seine Kleider. Sie befeuchtete Elektroden, klebte sie auf seine Haut, kontrollierte die Angaben, seufzte und wandte sich auf dem Absatz um. Ihr faltiges Gesicht war in Schweiß gebadet.
„Du bleibst hier und paßt auf ihn auf, Mädchen. Wenn dir irgendwas komisch vorkommt oder dieser Zeiger ins Rote übergeht, schreist du so lange nach mir, bis ich komme. Verstanden?“ Hoku sah Quilla kurz an. Dann schenkte sie ihr ein kurzes, hartes Lächeln. „Du hast deine Sache gut gemacht.“ Sie stand langsam auf, ignorierte Hetchs ausgestreckte Hand und reckte sich.
„Wenn Sie mal Lust haben, auf einem Schiff zu arbeiten …“ begann Hetch. Hoku schnaubte.
„Ich bin zweimal in meinem Leben auf einem Schiff gewesen“, erwiderte die Ärztin. „Ich konnte es nicht ausstehen. Nein, danke. Aber wenn Sie sich aufs Altenteil zurückziehen, könnten Sie bei mir als Pfleger einsteigen.“
Hetch zuckte die Achseln. „Das habe ich schon mal drei Jahre lang gemacht. Ich konnte es auch nicht ausstehen.“
Sie legten die Instrumente in den Sterilisator. Laur und die kasirischen Köchinnen brachten Tee und Brot in den Stall. Als die Flüchtlinge die Kassies sahen, senkte sich Schweigen auf sie herab.
„Sie haben das getan“, sagte jemand. Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Stall.
„Ich habe sie gesehen …“
„… standen da rum und schauten zu …“
„… haben sich heimlich rangeschlichen …“
„… sind dafür verantwortlich …“
„… haben das Feuer gelegt …“
„Nein“, sagte Jason laut und brachte die Leute damit zum Schweigen. „Das Feuer ist für sie etwas Heiliges.“
„Was soll sie dann davon abhalten, eins anzuzünden?“
„Wir wissen nicht einmal, ob es überhaupt Brandstiftung war“, sagte Mish. „Wir haben doch gar keine Ahnung, wie es anfing. Es kann genausogut eine Laterne gewesen sein,
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