Die Flüchtlinge
verließ das Haus durch die Vordertür. Ein roter, rauchgeschwängerter Lichtschein erfüllte den Himmel und wurde von den Wolkenmassen zurückgeworfen.
Quilla starrte das Haus an und versuchte den Ursprung des Leuchtens auszumachen. Ihre Augen schmerzten. Dann drehte sie sich auf dem Absatz herum und verspürte eine kühle Erleichterung. Das Haus war unberührt. Es war die Ortschaft, die brannte.
„Quilla!“ Mish ergriff ihren Arm und versuchte den Lärm des brennenden Holzes und der rufenden Stimmen zu übertönen. „Nimm dir Hart und Jes und sorg dafür, daß sie hierbleiben. Keiner verläßt den Hügel!“
Bevor Quilla auch nur ein Wort herausbrachte, war Mish schon wieder verschwunden. Sie fummelte an ihrem letzten Hemdverschluß herum, gab es auf und wandte sich um, um nach ihren Brüdern Ausschau zu halten. Jes stolperte aus dem Haus, stellte sich neben sie und starrte auf die Flammen.
„Mish hat gesagt, daß wir hierbleiben sollen“, sagte sie. „Du darfst nicht nach Haven hinuntergehen. Jes! Hör mir zu!“
„In Ordnung“, sagte Jes ungeduldig und schüttelte ihre Hand von sich ab. „Sieh dir das an, Quil, die ganze Ortschaft wird dabei draufgehen.“
Quillas Blick wanderte den Hügel hinab. „Nein, es ist nur das Haus der Ärztin. Bleib hier. Ich muß mich nach Hart umsehen.“
Als das Dach von Hokus Haus mit einem hohlen Aufbrüllen Feuer fing, ging Jes’ Antwort im Lärm unter. Quilla warf einen Blick auf die unheimliche Helligkeit, konnte Hart aber nirgendwo entdecken. Sie lief auf das Haus zu.
Laur stand in der Tür. Sie wimmerte leise und hatte sich in eine Decke gehüllt. Als sie Quilla festhielt, rutschte die Decke fast von ihrer Schulter.
„Ich kann Hart nicht finden!“ weinte die alte Frau.
„Hast du in seinem Zimmer nachgesehen?“
„Ja, aber da ist er auch nicht!“ jammerte Laur. „Ich kann ihn nirgendwo finden. Es muß ihm etwas passiert sein. Es …“
„Bleib hier“, befahl Quilla. Laur starrte sie an, aber dann nickte sie, klammerte sich am Türrahmen fest und blickte in das Feuer. Quilla glitt an ihr vorbei und rannte die Treppe hinauf.
„Hart?“
Sein Zimmer war leer. Sie öffnete die Tür des Wandschranks, aber auch zwischen den Kleidern und Spielzeugen hatte er sich nicht versteckt. Ebensowenig befand er sich unter dem Bett, und der kleine Alkoven neben dem Fenster war auch leer. Quilla nagte an ihrer Unterlippe und eilte in das Zimmer, das Laur bewohnte. Wenn Hart sehr verängstigt war, krabbelte er schon mal in ihr schmales Bett und ließ sich von Laur umarmen, bis sie seine Ängste zerredet hatte und ihn in sein eigenes Zimmer zurückschicken konnte. Aber auch dieser Raum erwies sich als leer. Bevor Quilla sich wieder auf den Weg nach unten machte, durchsuchte sie die gesamte obere Etage. Von dem Fenster aus, das sie über den Landeplatz blicken ließ, sah sie eine Kette von Menschenleibern, die einander wassergefüllte Eimer reichten. Aus dieser Entfernung und unter dem Eindruck der tanzenden Flammen sahen die Leute kaum menschlich aus. Am gegenüberliegenden Flußufer versammelten sich die Kasiren und starrten das brennende Haus an.
Hart hielt sich auch nirgendwo im Parterre auf. Quilla pausierte stirnrunzelnd an der Küchentür, dann packte sie sich eine Laterne und lief den Hügel hinab auf den Stall zu. Auch vor den Toren des Stallgebäudes wimmelte es von Menschen. Quilla stolperte über eine vor Angst aufschreiende kleine Gestalt, hielt an und senkte die Laterne. Ein Kind duckte sich in das Gras und starrte sie mit vor Angst aufgerissenen Augen an. Quilla hob es auf, setzte es auf ihre Hüfte und lief weiter.
Die Frau mit den Holowürfeln saß im Heu. Sie saß inmitten ihrer leuchtenden Geister und war vor Angst wie gelähmt. Quilla warf ihr das Kind zu und sagte: „Sorgen Sie dafür, daß die Kinder im Stall bleiben.“
„Was ist passiert? Sind es die Wachen? Kommen sie jetzt? Bringen Sie uns jetzt …“
„Nein, das Haus der Ärztin brennt, das ist alles. Bleiben Sie hier und achten Sie darauf, daß die Kinder nicht da draußen herumlaufen.“
Die Frau nickte und schaltete die Holowürfel ab. Das Kind setzte sich neben sie. Quilla kletterte – den Laternengriff zwischen den Zähnen – die Strickleitern hinauf und spähte in die einzelnen Stockwerke hinein. Das Licht ihrer Lampe fiel auf Lattenverschläge und Stützbalken – aber nicht auf Hart.
Der Himmel waberte glühend durch den Qualm. Quillas Augen begannen zu tränen. Sie
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