Die Flüchtlinge
Absicht.“
„Na, ich weiß nicht. Dort, wo wir herkommen, erzählt man sich noch immer Geschichten über die Eingeborenen. Manche von den Dingen, die die ersten Kolonisten erlebt haben, klingen geradezu absurd.“
„Wirklich?“ Laurs Stimme bebte geradezu vor Neugier.
„Nun, Sie müssen wissen, daß sie humanoid waren. Damit meine ich, sie waren menschenähnlicher als Ihre Kassies. Sie hatten nur zwei Arme. Und sie waren groß – unheimlich groß. Ich habe gehört, daß sie menschliche Frauen, wenn sie ihrer in den abgelegeneren Ortschaften oder Farmen habhaft werden konnten …“ Die Stimme der Frau wurde zu einem Flüstern. Sie und Laur standen jetzt nahe zusammen, und das, was sie sagten, wurde zu einem unverständlichen Summen. Hart legte sich auf den Rücken, aß den Pfannkuchen und sah den Staubflocken zu, die durch die sonnenbeschienene Tenne schwebten. Er wußte, daß er jetzt eigentlich in dem neuerbauten Schulhaus sein und der Stimme des Lehrers Simit und dem Gemurmel seiner Klassenkameraden lauschen sollte. Aber er stand nicht auf, um hinauszugehen. Er haßte das Klassenzimmer, den Lehrer und seine Mitschüler und verabscheute es, seine Zeit auf den unbequemen Bänken abzusitzen und irgendwelchen historischen Unsinn zu lernen. Quilla brauchte schließlich auch nicht zur Schule zu gehen, und dabei war sie selbst erst vierzehn, und in seiner Klasse gab es noch ältere Schüler. Jason hatte ihm erzählt, daß sie sich bereits lange vor der Ankunft der Flüchtlinge mit Hilfe von Bandkassetten und Büchern einen bestimmten Wissensstand erarbeitet hatte. Hart sah nicht ein, warum ihm dies in der Abgeschiedenheit seines Zimmers nicht auch möglich sein sollte. Und abgesehen davon stand die Schule direkt neben der Hütte, die Gren sich gebaut hatte – und er fürchtete sich vor dem wortkargen, gewalttätigen alten Mann.
Aber auch wenn Gren nicht neben der Schule gewohnt hätte, wäre Hart nicht zum Unterricht gegangen. Er wußte ja schon, wie man las, schrieb und mit Zahlen umging. Was die Lektionen über die giftigen Gewächse Aeries anging, so interessierten sie ihn nicht. Was ihn anbetraf, so kannte er sich damit aus, und wenn seine Schulkameraden sich dadurch umbrachten, wenn sie die Wurzeln der Luftblumen oder die Blätter der Krepbeeren aßen, so konnte das nur gut sein. In den anderen Fächern erblickte er überhaupt keinen Sinn. Was er wissen mußte, das wußte er; abgesehen davon war er ein Kennerin. Er brauchte überhaupt nicht zur Schule zu gehen. Selbst wenn die anderen gegen ihn waren, selbst wenn Mish und Jason darauf bestanden, Quilla Erklärungen abgab und Jes ihn hänselte: Er wußte, daß Laur für ihn Partei ergriff. Hart wälzte sich im Heu, wischte sich einen Halm aus dem Gesicht und schloß die Augen. Aus den Stimmen Laurs und der Holowürfelfrau wurde ein angenehmes Summen, das ihn einschlafen ließ.
Ein paar Stunden später, als die Flüchtlinge von der Arbeit heimkehrten, wachte er wieder auf. Obwohl ein Großteil der Ortschaft Haven inzwischen fertiggestellt war und viele der Fremden bereits ein eigenes Haus bewohnten, versammelten sie sich in den frühen Abendstunden immer noch im Stallgebäude, ohne daß Hart verstand, was sie davon hatten. Er sah sich um, stellte fest, daß Laur nicht mehr da war, stahl sich heimlich davon und ging zum Haus hinauf.
Die Köchinnen waren gegangen und hatten das Abendessen der Familie warmgestellt. Laur stellte einen Tellerstapel auf dem Knettisch ab. Die Holowürfelfrau nahm sie an sich und brachte sie ins Eßzimmer.
„Was hat die hier verloren?“ fragte Hart. Als Laur sich zu ihm umwandte, stieß sie einen überraschten Laut aus.
„Aha! Es wurde aber auch Zeit, daß du dich endlich mal sehen läßt. Ich habe den ganzen Nachmittag nach dir gesucht. Wasch dir die Hände und sag den anderen, daß das Essen fertig ist. Aber daß du diesmal auch wirklich sauber bist, verstanden?“
„Ich will wissen, was diese Frau hier zu suchen hat“, wiederholte Hart starrsinnig.
Laur verzog das Gesicht. „Sie heißt Mim und wird mir von nun an zur Hand gehen. Du glaubst doch nicht etwa, ich könnte diesen Zirkus ganz allein leiten? Und nun mach, daß du wegkommst!“
„Wird sie auch bei uns wohnen?“
„Sie hat ein Zimmer hier. Ich habe ihr heute beim Umzug geholfen. Und nun bewege dich, Kind, ich kann nicht die ganze Nacht mit dem Beantworten deiner Fragen verbringen.“ Sie schob ihn zur Tür. „Und daß du dir diesmal auch den Hals
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