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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Sie ja weggehen. Sie können Aerie verlassen und ihre Leute mitnehmen. Ich will nicht, daß Sie hier sind; ich habe niemanden gebeten hierherzukommen. Ich wünschte, ihr würdet alle sterben und mich in Ruhe lassen.“
    Gren musterte ihn einen Moment lang, dann öffnete er den Mund und gab einen heiseren, gebrochenen Laut von sich. Hart erkannte, daß der Mann lachte, und daraufhin kehrte seine Furcht zurück. Als Gren erneut nach seinem Krug langte und daraus trank, lehnte er sich in die Hängematte zurück. Der Mann nahm neben ihm Platz, und die Hängematte kippte beinahe um. Mit kalter Freundlichkeit lächelte er den Jungen an.
    „Ich kriege dich schon noch klein“, sagte er, ohne Verärgerung zu zeigen. „Bald wirst du nach einer anderen Pfeife tanzen, reiches Gör. Ich habe nicht vor, dich in Ruhe zu lassen.“
    „Wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen, werde ich alles meinen Eltern sagen“, erwiderte Hart mit mehr Mut, als er in sich spürte.
    „Und ich erzähle ihnen dann alles über die Brände, einverstanden? Man nennt so was Brandstiftung, reiches Gör. Du bist ein Brandstifter. Wenn sie auf Neuheim einen Brandstifter in die Finger bekommen, verbrennen sie ihn bei lebendigem Leibe. Hast du je gesehen, wie das ist?“
    Hart starrte Gren an. Schmerzerfüllte Bilder rasten durch seinen Geist. Er fing unkontrolliert an zu zittern und konnte nicht eher damit aufhören, bis Gren ihm eine Decke um die Schultern legte. Das Feuer zischte. Hart versorgte es mit einem weiteren Scheit. Hart zuckte zusammen und schrie auf. Gren lächelte erneut.
    „Erzählen Sie ihnen nichts“, flüsterte Hart schließlich. „Erzählen Sie ihnen nichts.“
    „Mal sehen“, erwiderte Gren. Er stand auf und wirkte plötzlich ausnehmend sachlich. „Ich werde ihnen nichts erzählen – vorausgesetzt, du tust auch etwas für mich.“
    Hart musterte ihn schweigend. Nicht viel später fuhr Gren fort und sagte: „Du wirst jeden Tag nach der Schule zu mir kommen, verstanden? Jeden Tag! Und ich verlange, daß du niemanden sagst, wohin du gehst. In Ordnung?“
    „Warum?“
    „Stell keine Fragen!“ rief Gren. „Wirst du tun, was ich von dir verlange, oder sollen wir zu deinen Eltern gehen?“
    „Ich werde kommen“, versprach Hart rasch. „Jeden Tag, das verspreche ich. Ich werde jeden Tag kommen.“
    „Schön.“
    Gren stand auf und ging auf die Truhe zu, die in einer Ecke der Hütte stand. Er gab Hart einen Wink. Der Junge folgte ihm; er hatte die schmutzige Decke noch immer um sich geschlagen.
    Gren öffnete das Schloß und klappte den Deckel der Truhe nach oben. Hart sah blitzendes Metall und funkelndes Glas. Gren hob nacheinander Reagenzgläser, Skalpelle, Teller und Röhrchen hoch.
    Seine Finger gingen äußerst sanft damit um, während er sie Hart unter die Nase hielt.
    „Daheim hatte ich einen Assistenten“, sagte Gren. Während er mit den Instrumenten spielte, nahm sein Gesicht einen entspannteren Ausdruck an. „Wie alles andere ist auch er nicht mehr. Ich habe nur noch das. Ich habe drei Menschen umgebracht, um meine Ausrüstung zu retten, und ich würde es wieder tun. Aber ich habe sie ja und bin noch nicht zu alt, um noch einmal von vorne anzufangen.“ Er legte das Skalpell zurück und starrte in die Truhe. „Ich bin Biologe, reiches Gör. Weißt du, was das ist?“
    Hart schüttelte den Kopf. Gren sah ihn an, dann schloß er die Truhe wieder. Sein kalter Humor war wie verflogen.
    „Du wirst es erfahren – sogar bald.“ Er zog Hart die Decke aus den Fingern und schob ihn zur Tür.
    „Geh nach Hause!“ schrie er. „Mach schon, hau ab! Und wenn du irgend jemandem was erzählst, verbrenne ich dich eigenhändig!“
    Hart stolperte über die Schwelle, schnappte nach Luft und rannte blindlings davon, als hätten sich Dämonen an seine Fersen geheftet. Keckernde Nachtvögel stoben vor ihm aus dem Gras und stießen helle Laute aus. Als er am Ufer entlangjagte, drang das Wasser in seine Schuhe. Die Rinde des Halaeabaumes kam ihm plötzlich kalt und rissig vor. Er taumelte in sein Zimmer, verriegelte das Fenster und verbarg sich frierend und schluchzend, verloren in einer Welt verhaßter Fremder, in den tiefsten Tiefen seines Kabinetts.

 
7. Mish
     
    Der erste Winter nach der Ankunft der Flüchtlinge war lang und trübe. Obwohl Hetch uns im vorhergehenden Herbst mit Vorräten versorgt hatte, besaßen wir natürlich nicht genug Lebensmittel. Zuerst ging uns das Korn aus, dann die getrockneten Früchte und die

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