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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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ihn nicht haßten, würden sie ihn das tun lassen, was er tun wollte, und seine Gefühle verstehen. Aber damit würde er schon fertig werden. Er würde sich die Maden vom Halse schaffen, dann würde seine Familie ihn endlich verstehen. Sie würde ihm vergeben und einsehen, daß er immer schon recht gehabt hatte.
    Fest von diesem Gedanken überzeugt, öffnete er leise das Fenster und schwang ein Bein über den Sims. Von seinem Fenster aus bog sich das Küchendach nach unten. Die flexiblen Solarzellen, die auf kleinen Stützbalken standen, leuchteten hell im Sternenlicht. In anderen Nächten waren sie Hart wie die gefrorenen Wellen eines unbeständigen Ozeans erschienen, die mit einem Eigenleben ausgestattet waren, aber heute galt sein Interesse lediglich dem dicken Ast des Halaeabaums, der sich über das Dach aufsein Fenster zu erstreckte. Er schob sich über das Fensterbrett, schlich unhörbar über das Dach, balancierte über einen Balken und wechselte dann auf den Baum über. Hand über Hand zog er sich an dem dicken Ast entlang, bis er den Stamm erreichte. Die anschließende Kletterpartie zum Boden war ein Kinderspiel. Als Hart unten war, verbarg er sich hinter der Schlingpflanzenhecke. Die zahllosen Nachtblüten, die einen süßen Duft verströmten, verwickelten sich in seinem Haar, als er die Hecke mit den Händen teilte und einen Blick auf das Wohnzimmerfenster warf. Vom Licht umrahmt standen die Erwachsenen da. Sie redeten und gestikulierten. Niemand hatte bemerkt, daß er ausgerissen war.
    Der Nachtwind war kalt. Als Hart den Hügelabhang hinunterlief und auf den Fluß zuhielt, zog er seine Jacke enger um die Schultern. Er durchquerte das Wasser, indem er sich auf den kleinen Felsen zubewegte. Dabei scheuchte er ein paar Nachtspäher und mehrere der kleinen, sechsbeinigen Eidechsen auf. Östlich von Haven begab er sich wieder ans Ufer, ging über die Wiese und näherte sich dem etwas abgelegenen Schulgebäude. Das Fenster des Lehrers war dunkel, was nur bedeuten konnte, daß Simit immer noch bei seinen Eltern weilte. In der weiter entfernten Praxis Dr. Hokus brannte noch Licht. Hart verbarg sich in den Schatten, lauschte angestrengt in die Dunkelheit hinein und zog dann ein Feuerzeug aus der Tasche. Er barg es lose in seiner Hand. Unter der Kolonnade des Schulgebäudes lagen die zusammengefegten Blätter eines Kaedobaums. Hier konnte er das Feuer legen.
    Als er sich unter der Kolonnade hinkniete, raschelten die Blätter unter seinen Füßen. Hart nahm das Feuerzeug und suchte mit dem Daumen nach dem Anzünder. Seine Hand zitterte leicht; konzentriert schob er die Zungenspitze zwischen die Lippen. Schließlich klappte es. Das Feuerzeug klickte und spuckte eine gelbe Flamme aus. Hart richtete seinen Arm auf den Blätterhaufen, hielt den Blick auf die Flamme gerichtet und hoffte, daß sie nicht ausging. Als die Flamme am zuoberst liegenden Blatt zu lecken begann, erschien mitten aus der Finsternis heraus ein Arm, packte Harts Handgelenk und riß ihn in die Höhe. Hart schrie auf. Eine Hand legte sich über seinen Mund. Vor Angst und Schmerz nach Luft ringend, ließ er das Feuerzeug fallen. Eine volltönende Stimme stieß einen Fluch aus, und als der unbekannte Mann das Feuer austrat, wurde Hart hin und her geschüttelt. Ein paar angekohlte Blätter schwebten in der Luft. Immer noch fluchend zerrte der Unbekannte den Jungen vom Schulgebäude weg. Der Schmerz des Entsetzens, der sich in Harts Brust ausbreitete, ließ ihn würgen und lähmte ihn, aber als ihm klar wurde, wohin man ihn schleppte, verdoppelte er seine Anstrengungen. Er trat um sich, wand sich hin und her und versuchte in die Hand zu beißen, die seinen Mund verschloß. Eine Tür flog auf, dann fand Hart sich in Grens Hütte wieder.
    Er lag auf dem Boden und hörte sich winseln; der Klang seiner Stimme flößte ihm Grauen ein. Ein Kennen weint doch nicht, dachte er panisch, und das beruhigte ihn ein wenig. Er stand auf und versuchte die Balance zu halten, während Gren die Tür verschloß und auf seinen Kamin zuging. Schweigend wärmte er sich die Hände. Hart schob sich leise in die Nähe des Ausgangs.
    „Bleib bloß da stehen“, sagte Gren, ohne sich herumzudrehen. Der Junge verharrte wie angewurzelt. Gren schlüpfte aus seiner Jacke und warf sie auf eine Hängematte, die zwischen den Wänden des anderen Teils der Hütte hing. Dann drehte er sich um und langte über die Feuerstelle hinweg nach einem Krug, den er an die Lippen setzte. Er trank,

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