Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
Vom Netzwerk:
Frühjahr zuvor.
    Die Türklinke klapperte, und nachdem ich um Eintritt gebeten hatte, fiel mein Blick auf Quilla, die vorsichtig ein Tablett vor sich her trug.
    „Ich kann wirklich nichts essen“, sagte ich. „Ich weigere mich kategorisch, etwas zu mir zu nehmen, und werde davon auch nicht abweichen.“
    Im allgemeinen machte es Quilla Spaß, mich mit gespieltem Zorn und allerlei Genörgel zum Essen zu überreden. Bei solchen Gelegenheiten stand sie mit stolzgeschwellter Brust wie ein Gefängniswächter neben mir und wachte darüber, daß ich nur ja nichts übrigließ. Aber an diesem Morgen gab sie keine Antwort. Ich sah sie an. Ihr Blick spiegelte ein unsägliches Elend wider, und ihre Mundwinkel zuckten.
    „Stimmt irgend etwas nicht, Quilla?“ Aber meine Tochter schwieg. Sie setzte das Tablett auf dem vor dem Fenster stehenden Tisch ab und machte Anstalten zu gehen. Ich hielt sie an einem Arm fest.
    „Quilla, was ist denn? Stimmt irgend etwas nicht?“
    „Ich möchte am liebsten tot sein!“ platzte sie heraus. „Laß mich in Ruhe!“
    Sie riß sich los und rannte aus dem Zimmer. Verblüfft sah ich ihr hinterher. Die Tür ihres Zimmers fiel knallend ins Schloß. Im ersten Moment wollte ich ihr nacheilen, aber dann gab ich meinen Plan auf. Quilla hatte sich schon den ganzen Winter über komisch aufgeführt, wenngleich auch weniger komisch als ich, weshalb ich glaubte, daß sie Wachstumsschwierigkeiten hatte oder unter den Aeriten litt. Sie würde darüber hinwegkommen.
    Das Haus kam mir ungewöhnlich still vor. Ich schloß mein Gewand, ließ das Frühstück unangetastet und schleppte mich die Treppen hinunter. Als ich auf dem ersten Absatz anlangte, spürte ich die erste Welle einer Wehe und hielt an, bis der Schmerz wieder vergangen war. Wenn diese Geburt sich nicht von den vorhergehenden unterschied, hatte ich noch eine Menge Zeit. Ich näherte mich der Küche.
    Die Kassie-Köchinnen, die in einer Ecke auf der anderen Seite des Raumes beschäftigt waren, sahen mich mit ihren riesengroßen violetten Augen an. Mit abrupten und energischen Armbewegungen war Mim dabei, in einer Schale irgend etwas anzurichten. Als ich nach Laur fragte, deutete sie mit dem Kinn auf die Hintertür, und ich ging in den Garten, der sich an die Küche anschloß. Laur saß inmitten der Setzlinge, ihre Hände lagen in ihrem Schoß, und sie hielt den Kopf gebeugt.
    „Laur?“
    Die alte Frau sah mich an, dann rappelte sie sich auf und schenkte mir ein unechtes Lächeln.
    „Du solltest besser wieder hineingehen“, sagte sie, „so wie du angezogen bist. Nun geh schon.“
    „Was ist denn los?“ verlangte ich zu wissen.
    Sie sah mich überrascht an. „Was soll denn los sein? Wie kommst du denn darauf? Geh endlich wieder hinein, bevor das ganze Dorf dich in deinem Nachthemd hier herumlaufen sieht. Nun mach schon, geh wieder rein.“
    Als die nächste Wehe kam und wieder ging, blieb ich bewegungslos stehen. Laur packte meinen Arm. Sie sah schlecht aus. Ich bekam ein ungutes Gefühl deswegen.
    „Es geht um Jason, nicht wahr?“ sagte ich. „Sag mir, was los ist, Laur. Ist ihm irgend etwas passiert?“
    „Jason?“ echote sie. „Aber um Himmels willen, nein! Habe ich dir Angst gemacht? Nein, nein, Quia Jason geht es ausgezeichnet, wo immer er auch stecken mag. Natürlich geht es nicht um Jason. Aber jetzt komm, laß uns hineingehen!“
    „Du sagst nicht die Wahrheit“, sagte ich und fühlte, wie meine Knie weich wurden. „Du versuchst etwas vor mir zu verbergen. Sag mir, was ihm zugestoßen ist!“
    „Pssst, Mädchen, psst! Jason geht es gut. Es hat nichts mit ihm zu tun.“ Laur biß sich auf die Unterlippe. Ich sah sie ungläubig an. „Es geht um Tabor“, sagte sie schließlich. „Er wird uns verlassen.“
    Meiner Erleichterung folgte Unverständnis. „Oh, Laur, das kann doch nicht wahr sein – nicht jetzt! Wo ist er? Ich will mit ihm reden. Er kann doch jetzt nicht gehen!“
    „Er ist in seinem Zimmer. Ich weiß gar nicht, wie ich ohne ihn fertig werden soll. Und dabei haben wir noch soviel zu erledigen.“
    Ich wandte mich um. In der Küche holte Laur mich ein und faßte meinen Arm. Ich hielt inne, denn in diesem Augenblick überkam mich die dritte Wehe. Sie schienen mit jedem Mal heftiger zu werden.
    „Du kannst nicht in sein Zimmer gehen!“ brabbelte Laur aufgeregt. „Das wäre unvorstellbar! Was würde Jason dazu sagen? Du wartest hier an der Treppe, Quia Mish, bis er herunterkommt! In sein Zimmer gehen! Das

Weitere Kostenlose Bücher