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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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die hinter der Meerenge liegende Insel To’an Betes aus einem einzigen Wald. Das Brennholz lag sozusagen direkt vor ihrer Tür.
    Als Jason dieses Gerede zu Ohren gekommen war, hatte sich sein Gesicht verfinstert. Seine blauen Augen sprühten Blitze. Er schloß sich eine Woche lang mit Dene Beletes, einer Ingenieurin, in den Stall ein, und als sie wieder herauskamen, hielt Dene einen hellroten, vier Meter durchmessenden Drachen in ihren Händen. Einen Monat später hatte jedes Haus seinen eigenen Drachen, der genug Energie produzierte, um die Solarzellen zu entlasten. Der Anblick der Windvögel gefiel Jes; er betrachtete ihre hellbunten Leiber und sah zu, wie sie über dem Dorf dahintanzten. Irgendwann müßte einmal ein starker Wind aufkommen, dachte er. Dann werden die Drachen bis zu den Wolken hinauffliegen und Haven hinter sich herziehen. Eine Stadt in der Luft.
    Simit stand im Eingang des Schulgebäudes, setzte ein Hörn an seine Lippen und blies drei schrille Töne. Jes stieß einen leisen Fluch aus, rannte durch das Dorf und erreichte die Schule in dem Moment, als Simit schon die Tür schließen wollte.
    „Du solltest schneller gehen und weniger dabei träumen.“
    „Ja, Quia Simit“, murmelte Jes und kämpfte sich zu seinem Platz durch.
    Er konnte sich nicht konzentrieren. Der Klassenraum roch nach Beerensaft und leicht nach saurer Milch. Das Sonnenlicht zeichnete helle Streifen auf den groben Holzfußboden. Simit redete über Sprachen, ihre Strukturen und gab einige Beispiele zum besten. Jes’ Blick wanderte durch den Raum, glitt über die nach Altersgruppen geordneten Tische hinweg. Außer den Kleinsten und den beiden kasirischen Schülern, die von den Menschen getrennt am anderen Ende der Klasse saßen, konnte sich jeder der Anwesenden an Neuheim erinnern. Wie würden sie reagieren, wenn er ihnen erzählte, welche Nachrichten Hetch mitgebracht hatte? In seiner Phantasie tauchte am Fenster eine Gestalt auf, die sich zu ihm herüberbeugte und flüsterte: „Ich werde Neuheim einnehmen, aber dazu brauche ich deine Hilfe.“ Jes nickte ernst. Sekunden später befand er sich auf Delta-Dreis Schiff, jagte durch die Lufthülle Aeries, tauchte in den Tau-Raum ein und raste kurz darauf über Neuheim dahin – mitten hinein in eine Ansammlung schwarzer Schiffe und tödlicher Waffen.
    „Jetzt reicht’s mir aber!“ rief Simit. „Meine Geduld ist nun erschöpft, Jes Kennerin! Wenn ich rede, erwarte ich auch, daß man mir zuhört. Aufstehen!“
    Die Schüler lachten, als Simit Jes beim Arm nahm und ihn in die Ecke setzte. Er hatte eine lange, rote Narbe, die diagonal über sein Gesicht lief, von der Stirn über Nase und Wange reichte und an seinem Hals hinter den Haaren verschwand. Er hatte sie sich auf Neuheim zugezogen. Während Simit sprach, sah Jes, daß die Narbe zuckte. Diesmal wurde seine Phantasie noch finsterer.
    In der Pause nahm Hart unter dem Schulhofbaum neben ihm Platz und streckte die Hände nach seinem Essen aus.
    „Iß doch deine eigenen Sachen“, sagte Jes wütend. „Du frißt jeden Tag die Hälfte von mir, und ich kriege nie genug.“
    „Stell dich nicht so an, Jes. Ich hab’ eben Hunger.“
    „Wo ist dein Essen?“
    „Ich hab’s vergessen.“ Hart sah seinen Bruder mit einer wahren Unschuldsmiene an.
    „Das ist nicht wahr. Ich habe selbst gesehen, wie du es heute morgen mitgenommen hast.“
    „Ich hab’s verloren. Komm schon, gib mir was ab. Du hast sowieso zuviel mit. Laur gibt dir immer mehr als mir.“
    „Na gut. Aber nimm nicht direkt wieder alles, klar?“
    Hart nahm sich die Hälfte des Käses und stopfte ihn in den Mund. Dann riß er den gesamten Kuchen an sich und lief über den Schulhof.
    „Dafür kriegst du eine!“ schrie Jes, obwohl er es gar nicht so ernst meinte. Hart streckte ihm die Zunge heraus und umrundete das Gebäude. Die beiden Kassies hatten in der Nähe des Tors Platz genommen und verpflegten sich aus ihren Beuteln. Jes hörte, wie sie sich in ihrer eigenen Sprache unterhielten. Jason hatte darauf bestanden, daß die Eingeborenen Aeries Zugang zur Schule hatten und genauso wie die menschlichen Kinder behandelt werden sollten, aber Jes bezweifelte, ob den Kassies die Schule mehr gefiel als den anderen. Die Ältere der beiden legte die oberen Hände hinter den Kopf und suchte mit den unteren in ihrem Beutel herum. Jes wandte sich ab und stand auf. Simit war wieder hineingegangen. Seine beiden Helfer standen im Schatten des Gebäudes, hielten Händchen und

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