Die Flüchtlinge
letzten Korridor kam.
Hier waren keine Türen. Hinter ihm donnerten Schritte. Jes ließ eilig die glatte Wand an sich vorüberziehen, dann entdeckte er endlich das rote Notsymbol. Nur noch ein paar Meter. Er legte seine Hand auf das Zeichen, und vor ihm glitt die Wand beiseite. Dahinter stand ein schlankes Schiff. Seine Schleuse war offen und beleuchtet.
Jes glitt in den Kontrollsitz und schnallte sich an. Das Armaturenbrett unterschied sich ein wenig von dem des Bootes auf der Folly, aber er fand die vier roten Punkte rasch. Nachdem er sie der Reihe nach betätigt hatte, lauschte er mit angehaltenem Atem dem Geräusch der sich schließenden Luke. Als die Außenwand des Schiffes beiseite glitt, wußte er nicht, ob er jubeln oder vor Schreck weinen sollte. Wie von einem Katapult abgeschossen raste das Rettungsboot durch einen Gang, verließ den Leib der Grafit Eins und schaltete die Düsen ein. Jes wurde in den Sitz gepreßt. Er richtete sich wieder auf und betätigte die anderen Knöpfe so lange, bis sich der Tau-Raum vor ihm öffnete und vereinzelte Sterne sichtbar wurden. Der Bildschirm zeigte die matten Umrisse der vor ihm herjagenden Folly.
„Wer ist da?“ brüllte eine Stimme aus dem Lautsprecher. „Identifizieren Sie sich – oder wir eröffnen das Feuer!“
Jes’ Zwerchfell zog sich zusammen. Er schnallte sich los, streckte einen Arm aus und betätigte die Notruftaste. Die Beschleunigung warf ihn in den Sessel zurück.
„Im Tau-Raum“, sagte Simits Stimme, „befinden sich alle Zeiten des Universums gleichzeitig an einem Ort. Jeder Kubikmillimeter Tau-Raum enthält die gesamte Materie, die jemals existiert hat. Versteht ihr das? Der Tau-Raum enthält alles; und zwar alles aus jeglichen Zeiten. Ihr müßt ihn euch vorstellen wie einen Berg oder eine Mauer aus Stein, nur ist er natürlich viel dichter. Wenn man aber nun bedenkt, daß sich zwei feste Objekte niemals zur gleichen Zeit am gleichen Ort aufhalten können – wie kann dann ein Schiff diesen Raum durchqueren? Weiß das jemand? Nun, es ist wirklich sehr einfach. Das Schiff sucht sich im Tau-Raum einfach eine Zeit, in der ein bestimmter Raum nicht von irgend etwas besetzt war, und durch diese reist es dann. Das heißt, wenn das Schiff an einen Ort gelangt, an dem sich ein Planet befindet, springt es einfach in eine andere Zeit, in der der Planet nicht dort war. Natürlich leisten die Computer diese Arbeit.“
Jes hatte darüber nachgedacht, bis er Kopfschmerzen bekommen hatte. Er verstand es aber immer noch nicht. Aber zumindest wußte er jetzt, wie es aussah. Der Bildschirm flackerte und zeigte ihm, wie das Rettungsboot drauf und dran war, in eine Sonne zu stürzen, gegen einen Mond zu prallen oder in einen Meteoritenhagel oder ein anderes Schiff hineinzurasen. Aber all das flitzte so schnell an ihm vorbei, daß er kaum dazu in der Lage war, die eine Fast-Katastrophe von der nächsten zu unterscheiden. Er schloß die Augen, fühlte sich krank und betätigte die Schirmkontrollen. Als er aufschaute, erkannte er vor sich eine Positionstafel. Vor ihm war die Folly als roter Fleck zu erkennen. Seine eigene Position schien der blaue Kreis zu symbolisieren. Hinter ihm waren fünf blaue Linien – die Neuheim-Flotte. Jene, die ihm am nächsten war, schien den anderen vorauszueilen.
„Junge, hier ist Avila.“ Jes sah den Lautsprecher an und preßte die Lippen aufeinander. „Hör zu, ich nehme an, daß du einen ziemlichen Spaß da draußen hast, aber die Sache ist gefährlicher, als du glaubst. Wir schließen jetzt auf. Ich möchte, daß du mit der Geschwindigkeit heruntergehst, damit wir dich wieder einschleusen können, in Ordnung? Wenn du meinen Anweisungen folgst, wirst du auch keinen Ärger kriegen.“
Jes öffnete den Mund, dann dachte er noch einmal über die Beleidigung nach und zog es vor zu schweigen. Er hatte das Gefühl, als würden ein paar starke Hände ihn tiefer und tiefer in den Sitz pressen, und er fragte sich, ob sie ihn irgendwann durch das Material der Rückenlehne drücken würden. Der Geschwindigkeitsanzeiger zeigte an, daß das Boot immer schneller wurde.
„Ich will dir noch eine Chance geben, Junge. Wenn du mit der Geschwindigkeit nicht heruntergehst, werden wir das Feuer eröffnen.“
„Jes, bist du da drin? Jessie, antworte mir.“
Jes tastete mit der Hand nach dem Schalter in der Armlehne. Schließlich ließ er sie fallen und drückte den Knopf ein.
„Mammi? Mir geht’s gut, Mish. Ich bin
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