Die Flüchtlinge
an. Nun verließ Mish das Boot, legte eine Hand auf seine Schulter – und ich hatte mit dem zweiten Kloß zu kämpfen. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck, der keine Regung zeigte. Um ihr näher zu kommen, stieß ich die Leute beiseite. Jes sagte etwas, und Mish lächelte flach, wie bei einer Pflichtübung. Jes lachte. Dann stürzten sich die Leute auf meine Frau, meinen Sohn und die Mannschaft und hoben sie auf ihre Schultern. Mishs Lippen waren blaß. Ihr Lächeln wirkte nicht echt. Ich sah Hoku, die in der Nähe des Erdwalls stand und sie musterte. Die Ärztin rief etwas, aber man konnte sie nicht hören. Ich stürzte mich in die Menge, alle Rufe ignorierend.
„He!“ brüllte ich. „Gebt mir meine Frau wieder!“
Die Leute lachten. Mish streckte die Arme nach mir aus und ließ sich fallen. Ich fing sie mit der Brust auf, und sie umarmte mich und verbarg ihr Gesicht an meinem Hals. Sie zitterte. Ich brachte sie durch das ganze Getümmel vom Landeplatz weg und rannte über die Wiese zum nächsten Rastplatz, den am Flußufer stehenden Bäumen. Ich holte mir nasse Füße, und als ich endlich den richtigen Platz fand, setzte ich mich hin und zog sie in meine Arme. Sie schmiegte sich zitternd an mich, weinte jedoch nicht.
„Mish, bist du verletzt? Geht es dir gut?“
An der Art, wie ihr Kinn meinen Hals berührte, spürte ich, daß sie nickte. Nach einer Weile verging ihr das Zittern. Sie löste sich von mir, verbarg das Gesicht in den Händen und atmete tief und unregelmäßig ein und aus. Ich wartete.
„Jes und ich waren im Laderaum und mußten hinaus. Ich habe zwei Wächter in den Raum hineingestoßen und ihnen dann die Luft abgesaugt.“ Ihre Stimme entbehrte jeden Ausdrucks. Sie sah mich nicht an. „Jes und ich sind dann geflohen. Ich landete schließlich in einem kleinen Raum und verlor die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, war Jessie weg. Ich habe überall nach ihm gesucht. Bakar fand sich im Mannschaftsraum. Auch er wurde bewacht. Der Wächter sagte, man habe Jessie auf ein anderes Schiff gebracht. Er hat mich nicht gesehen.“
Sie hielt inne. Ich legte meine Hand auf ihren Arm, aber sie entzog sich meinem Griff. Ich legte die Hand wieder in den Schoß.
„Ich suchte mir eine Eisenstange und brachte den Wächter um. Ich versetzte ihm einen Schlag ins Genick und tötete ihn. Dann gingen Bakar und ich auf die Brücke und brachten den Mann um, der Hetch bewachte. Bakar erwürgte ihn. Dann gingen Hetch und Bakar hinaus und brachten die beiden anderen um. Ich weiß nicht, wie. Ich glaube, daß Merkit eine der Wachen umgebracht hat. Dann flogen wir durch den Greifer, und Jessie kam zurück.“
Sie machte wieder eine Pause. Sie hatte mich noch immer nicht angesehen.
„Bevor wir herunterkamen, öffnete ich den Laderaum, um nachzusehen, was wir geladen hatten und ob es sich lohnte, etwas davon hierherzubringen. Ich habe zwei Soldaten in den Laderaum geschubst und ihnen die Luft weggeblasen.“ Sie fing erneut an zu zittern. „Als ich das tat, waren sie nur Uniformen für mich, Jason. Und ich habe sie umgebracht. Auch den im Mannschaftsquartier.“ Jetzt erst sah sie mich an. Ihr Gesicht war blaß.
„Ich habe drei Menschen getötet, Jason. Drei! Und ich würde es wieder tun.“
Und dann setzte sie sich, als erwartete sie, daß ich nun über sie urteilen würde. Ich starrte sie von der Seite her an. Ich wußte, was Mish vom Töten hielt. Sie hatte einmal vor dem terranischen Familienrat gestanden, um sich für das Leben eines Arbeitskollegen einzusetzen. Man hatte eine Sitzung anberaumt und den Mann schuldig gesprochen. Der letzte Satz der Urteilsverkündung war kaum verklungen, da war sie aufgebracht und voller Zorn in den Saal gestürmt und hatte den Hohen Herren eine Lektion erteilt, die sich gewaschen hatte. Wer einen Menschen umbringt, hatte sie gesagt, ist ein Mörder. Wenn man aus Gründen der Selbstverteidigung jemanden umbringt, ist das ebenfalls ein Mord. Wer tötet, um zu bestrafen, begeht genauso einen Mord. Jemanden zu ermorden sei aber eine abscheuliche und verwerfliche Sache. Ob die Ratsversammlung sich nicht als eine legalisierte Mörderbande verstehe? Unterscheide sie sich überhaupt von jenen, die sie aburteile? Wenn der Tod mit dem Tod geahndet wurde, hatten sie dann nicht schon alle das Urteil über sich selbst gesprochen? Mußten sie nicht in dem Augenblick, in dem der Bestrafte seine Strafe erhielt, Selbstmord begehen? Sie bezweifle allerdings, daß die Ratsversammlung den Mut
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