Die Flüchtlinge
ernst oder witzig meinte. Sie hob den Kopf. Am Himmel standen zwei Monde. Der eine im Zenit, der andere glitt gerade über den östlichen Horizont. In dieser Gegend der Milchstraße standen die Sterne ziemlich eng beieinander.
Hart berührte ihren Arm. „Schau dir das an.“ Er deutete in den Stall hinein.
Quilla drehte sich um und sah, daß Tabor mit Mish zusammensaß; sie lachten, dann beugte Tabor sich vor und gab gestenreich etwas zum besten. Er erzählte ihr irgendeine Geschichte. Sein Stock lag neben ihm im Heu, und er hatte sein schlimmes Bein bequem ausgestreckt. Mishs Hand ruhte auf seinem Knie. Quilla sah Hart an und zuckte die Achseln. Er lächelte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Sternen zu.
„Sie haben etwas miteinander gehabt“, sagte Hart.
„Nein, ich weiß von dieser Geschichte. Tabor ist gegangen, weil er sich nicht wohl dabei fühlte. Er wollte sich nicht zwischen Jason und Mish drängen. Er konnte es nicht. Aber sie haben niemals etwas miteinander gehabt.“
„Das sagst du.“ Hart lächelte erneut.
„Du änderst dich wohl nie, was? Überall, wo es etwas zu verdrehen gibt, bist du zur Stelle und verdrehst es.“
Hart zuckte die Achseln. „Selbst wenn sie nichts miteinander gehabt haben, selbst wenn sie nicht miteinander gefickt haben, hat er sie genug geliebt, um sie zu verlassen. Glaubst du, er liebt sie immer noch?“
„Sei kein Idiot“, sagte Quilla scharf und machte Anstalten, wieder hineinzugehen.
Hart packte ihre Schulter. „Schau! Es geht los! Sieh es dir an!“
Als Quilla herumfuhr, rannte Hart in den Stall hinein und rief die Leute zusammen. Sie sah auf. Im Norden erhellte sich der Himmel mit zunehmender Schnelligkeit. Die Musik verstummte, dann hörte sie Harts Stimme. Die Leute begannen sich am Stalleingang zu versammeln. Auch sie schauten zum Himmel hinauf. Quilla wollte sich gerade wütend umwenden, als die Nacht von einem hellen Lichtschein erfüllt wurde. Die Leute hielten den Atem an. Das Licht wurde immer heller und überflutete das Tal mit Farben und einem plötzlichen Hauch von Wärme. Ein tiefes Schweigen breitete sich aus, die Harts Stimme laut und klar durchbrach.
„Ihr habt das Datum vergessen, stimmt’s?“ Seine Stimme klang irgendwie belustigt. „Ihr habt vergessen, wie man rechnet, nicht wahr? Das, meine Damen und Herren, ist die Sonne von Neuheim. Es ist die Welt eurer Herkunft, die da in Flammen aufgeht. Es war vor vier Standardjahren, liebe Freunde und Nachbarn. Und keiner von euch hat daran gedacht.“
„Nein“, sagte Mim heiser.
Jemand stöhnte auf. Ein anderer weinte. Neuheim hatte sie vertrieben, hatte versucht, sie zu töten. Neuheim hatte ihre Familien auf dem Gewissen – und doch war es ihr Heimatplanet, und die Helligkeit war das Licht seines Untergangs. Hart schlenderte an Quilla vorbei, zwinkerte ihr zu und verschwand hinter einer Ecke des Gebäudes. Die Leute drängten sich enger aneinander, als suchten sie Wärme.
Die Aeriten gingen nach Hause. Quilla stand auf der Schwelle des Stalltors und lauschte dem Geräusch, das ihre Schritte auf dem Gras erzeugten. Hoku, die etwas von Beruhigungsmitteln murmelte, klopfte Quilla auf die Schulter, als sie ging. Ved war zum allerersten Mal völlig verstummt. Jason und Mish sahen sich in ihrem leeren Stall um, erblickten das noch kaum berührte Essen und die Getränke und kehrten über den Hügel zu ihrem Haus zurück. Quilla schloß die Stalltore. Tabor lehnte an der Außenwand und schaute in das Licht. Quilla ging zu ihm und nahm seine Hand.
„Es gab Berge auf Neuheim“, sagte Tabor leise. „Sie waren weiß und grün und braun, und überall liefen Bäche hinunter. Mestican bestand aus weißen Mauern und Gärten und Brunnen und Vögeln. Das Meer.“ Er strich über seine Flöte. „Vor vier Jahren war mir das alles noch klar. Aber irgendwie kommt es mir heute abend unwirklich vor.“
Quilla wartete schweigend. Nach einer Weile fingen Tabors Schultern an zu zucken, und er preßte das Gesicht gegen die Wand. Später gingen sie nach Hause.
Jason war früh aufgestanden. Er saß in der Küche vor einer dampfenden Tasse Tee und hörte Laur zu, die sich mal wieder über die Kassies, die Dorfbewohner und die Auswirkungen von Jes’ Ausdrücken auf Meyas Sprache beschwerte. Mim brachte ihm einen Teller mit heißen Fleischklößen. Jason legte den Kopf ein wenig schief und hob eine Augenbraue, ohne daß Laur es merkte. Mim verdrehte die Augen im Kopf, zuckte die Achseln und
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