Die Fluesse von London - Roman
Londoner Kulissen ausgerechnet in Wales gelagert wurden, erklärte er nicht.
»Wir hätten gern den Richter gesprochen«, sagte Nightingale.
Terry nickte und führte uns durch eine Reihe niedriger, weiß gestrichener Korridore und vorschriftsmäßiger Feuerschutztüren, die mich unangenehm an das Leichenschauhaus von Westminster erinnerten. Wir landeten in einem Lagerraum mit niedriger Decke, der, wie unsNightingale erklärte, früher einmal das Erdgeschoss des Blumenmarktes gewesen war.
»Und genau hier war der Salon von Nummer vier«, sagte er und wandte sich an unseren Führer. »Keine Sorge, Terry, wir finden schon selbst wieder hinaus.«
Terry winkte uns fröhlich zu und verschwand. Die Wände des Raums waren mit hässlichen Stahl- und Spanplattenregalen vollgestellt, auf denen Kartons voll Papierservietten standen, Großpackungen Cocktailsticks und Stapel von Serviertabletts. Die Mitte des Raums war leer, nur auf dem Boden waren die Abdrücke von Regalen zu sehen, die hier einmal gestanden hatten. Ich suchte nach
Vestigia
, spürte aber nichts außer Staub und aufgerissenen Plastikfolien. Doch dann spürte ich etwas, am äußersten Rand der Wahrnehmung: Pergament, alter Schweiß, Leder, verschütteter Portwein.
»Ein Geistermagistrat? Der uns einen Geisterhaftbefehl ausstellt?«, fragte ich.
»Symbole haben Macht über Geister«, antwortete Nightingale. »Oft erzeugen sie stärkere Wirkung als alles, was wir aus der physischen Welt zum Einsatz bringen können.«
»Warum ist das so?«
»Um ehrlich zu sein, Peter«, sagte Nightingale, »kann ich mich nur noch daran erinnern, dass wir das damals lernten, und ich kenne natürlich die relevanten Passagen bei Bartholomew – vielleicht habe ich sogar einen Aufsatz darüber geschrieben –, aber ich will verdammt sein, wenn ich mich daran erinnere,
warum
es so ist.«
»Und wie wollen Sie mir dieses ganze Zeug beibringen, wenn Sie es selbst nicht mehr wissen?«
Nightingale schlug mit dem Silberknauf des Stocks leicht in seine Handfläche. »Ich hatte vor, meine Erinnerung daran aufzufrischen, bevor wir uns diesem Teil Ihrer Ausbildung nähern. Ich weiß, dass mindestens zwei meiner eigenen Meister genau so verfuhren, und die waren damals sogar Fachlehrer.«
Mir wurde klar, dass Nightingale selbst nach irgendeiner Bestätigung suchte, und das fand ich ausgesprochen besorgniserregend. »Bitte achten Sie darauf, dass Sie mir immer ein paar Schritte voraus sind«, sagte ich. »Wie finden wir nun den Richter?«
Nightingale lächelte. »Wir müssen nur seine Aufmerksamkeit erregen.« Er drehte sich um und sprach in die leere Mitte des Raums. »Captain Nightingale möchte mit dem Colonel sprechen.«
Der Geruch nach altem Schweiß und verschüttetem Alkohol wurde stärker. Eine Gestalt erschien vor uns. Dieser Geist schien noch transparenter zu sein als mein alter Freund Wallpenny und wirkte noch geisterhafter, aber seine Augen glitzerten, als er uns ansah. Da Sir John Fielding eine Augenbinde getragen hatte, um seine blinden Augen zu verbergen, und Nightingale außerdem einen »Colonel« angerufen hatte, vermutete ich, dass wir hier Colonel Sir Thomas De Veil vor uns hatten. De Veil war zu Lebzeiten dermaßen korrupt, dass sogar die Londoner Gesellschaft des 18. Jahrhunderts schockiert gewesen war – und das war Historikern zufolge die korrupteste Epoche in der gesamten britischen Geschichte gewesen.
»Was wollt Ihr, Captain?«, fragte De Veil. Seine Stimme klang dünn und weit entfernt, und um ihn herum konnteich jetzt die vagen Umrisse von Möbelstücken wahrnehmen – Stuhl, Tisch, Bücherschrank. Der Legende zufolge hatte De Veil noch ein spezielles Kämmerchen, in dem er »juristische Vernehmungen« weiblicher Zeugen und Verdächtiger vornahm.
»Ich brauche einen Haftbefehl«, sagte Nightingale.
»Zu den üblichen Bedingungen?«, fragte De Veil.
»Selbstverständlich.« Nightingale zog eine schwere Papierrolle aus dem Jackett und reichte sie De Veil. Der Geist streckte seine durchsichtigen Finger aus und zog sie Nightingale aus der Hand. Obwohl es recht lässig aussah, war ich sicher, dass es den Geist beträchtliche Anstrengung kosten musste, einen physischen Gegenstand festzuhalten. Die thermodynamischen Hauptsätze sind in dieser Hinsicht eindeutig: Nach dem Energieerhaltungssatz muss die Summe aller Energieformen konstant bleiben; De Veil würde also dafür den vollen Preis bezahlen müssen.
»Und welchen Übeltäter möchten wir
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