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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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offensichtlich handelte es sich hier um eine von Henry Pykes sequestrierten Puppen; der Typ würde also keine Sekunde zögern, mich oder Nightingale zu erschießen, egal wie ruhig ich auf ihn einredete.
    Aber um ganz ehrlich zu sein: In diesem Augenblick dachte ich überhaupt nichts, sondern in meinem Hirn lief nur eine einzige logische Sequenz ab: Nightingale am Boden   – Pistole   – Zauberspruch!
    »
Impello!
«, sagte ich so ruhig wie möglich und ließ den linken Fuß des Mannes einen Meter hochsteigen. Er schrie, als sein Körper nach oben gerissen und dann nach rechts gekippt wurde. Vermutlich verlor ich dabei ein wenig von meiner Konzentration, denn ich hörte ein deutliches Knacken   – in seinem Fuß zerbrach ein Knochen. Die Pistole fiel ihm aus der Hand, und er ruderte wild mit den Armen, als er auf den Boden zurückstürzte. Ich trat näher, kickte die Pistole über die Straße weg und versetzte ihm einen Tritt gegen den Kopf, ziemlich hart, um ganz sicherzugehen.
    Eigentlich hätte ich ihm gleich Handschellen anlegen sollen, aber hinter mir lag Nightingale auf der Straße und sein Keuchen deutete auf akute Atemnot hin, ich vermutete einen Lungendurchschuss. Zehn Zentimeter unter der Schulter war ein Einschussloch zu erkennen, aber als ich ihn sanft auf die Seite drehte, sah ich zu meiner Erleichterung keine Austrittswunde. Meine Erste-Hilfe-Ausbildung in Bezug auf Brustschussverletzungen war absolut eindeutig   – jede Sekunde, die man herummurkst, ist eine weitere Sekunde, die der Notarzt später kommt.
    Ich wusste, dass unser Eingreifteam den Schuss nicht gehört haben konnte, sonst wäre es längst da gewesen, und ich hatte mein Airwave zerstört, als ich den Zauberspruch gegen den Revolverhelden anwandte. Dann fiel mir die Trillerpfeife in der Brusttasche meiner Uniformjacke ein. Ich fummelte sie heraus, steckte sie zwischen die Lippen und blies hinein, so stark ich konnte.
    Eine Polizeipfeife in der Bow Street. Einen Augenblick lang spürte ich eine Verbindung, wie ein
Vestigium
, mit der Nacht, den Straßen, dem schrillen Pfeifton, dem Geruchvon Blut und meiner eigenen Angst, mit all den anderen uniformierten Polizisten Londons über alle Zeiten hinweg, die sich fragten, warum zum Teufel ausgerechnet sie so spät hier draußen noch Dienst tun mussten. Oder vielleicht war es auch nur eine kleine Panikattacke, das kann man wirklich leicht durcheinanderbringen.
    Nightingales Atem wurde unregelmäßig und schwächer.
    »Weiteratmen«, sagte ich. »Das ist eine Gewohnheit, die man nicht ohne Weiteres aufgeben sollte.«
    Dann hörte ich Sirenen näher kommen   – es war ein wunderschöner Klang.
     
    Das Problem mit dem Kameradennetzwerk besteht darin, dass du nie ganz sicher sein kannst, ob es gerade aktiv ist und ob es in deinem Interesse funktioniert oder im Interesse eines anderen Kameraden. Ich jedenfalls begann zu vermuten, dass es nicht in meinem Interesse funktionierte, als sie mir eine Tasse Kaffee und zwei Kekse in den Vernehmungsraum brachten. Polizeikameraden, die in einer wohlwollenden Atmosphäre vernommen werden, können sich nämlich ihren Kaffee gefälligst selbst in der Kantine holen. Zimmerservice kriegt man nur, wenn man unter Verdacht steht. Und wir waren in meinem alten Revier Charing Cross, es war also nicht so, als wäre mir der Weg zur Kantine nicht wohlbekannt.
    Inspector Nightingale war noch am Leben, so viel immerhin sagten sie mir, bevor sie mir den Stuhl auf der falschen Seite des Vernehmungstisches zuwiesen. Man hatte ihn in das brandneue Traumazentrum der Uniklinik gebracht; sein Zustand wurde als »stabil« bezeichnet,ein Ausdruck, hinter dem sich alles Mögliche verbergen konnte.
    Ich blickte auf die Uhr: halb vier am Morgen. Weniger als vier Stunden waren vergangen, seit Nightingale angeschossen worden war. Wenn man eine Weile in einer großen Institution gearbeitet hat, bekommt man ein Gefühl für ihren bürokratischen Gezeitenwechsel. Ich spürte förmlich, dass die Flut eingesetzt hatte und dass gewissermaßen ein Hammer dabei war, auf mich herabzuschwingen. Da ich erst seit zwei Jahren Polizist war und trotzdem schon spüren konnte, dass ein Hammer auf mich herabschwang, musste es ein sehr großer Hammer sein. Ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, wer ihn in Bewegung gesetzt hatte, konnte aber momentan nichts anderes tun, als auf der falschen Seite des Vernehmungstisches sitzen zu bleiben, in Gesellschaft einer Tasse schlechten Kaffees und zweier

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