Die Fluesse von London - Roman
oder gar gesichert sei, dass er eine Waffe abgefeuert hatte. In meinem Hirn nahm ein furchtbarer Gedanke Gestalt an.
»Aber Sie haben doch die Waffe gefunden – oder?«, fragte ich.
»Am Tatort wurde keine Waffe sichergestellt«, sagte Stephanopoulos.
»Ich habe sie über das Straßenpflaster gekickt.«
»Es wurde keine Waffe sichergestellt«, wiederholte Stephanopoulos sehr langsam.
»Ich hab sie doch gesehen!«, sagte ich. »Eine halbautomatische Pistole.«
»Es wurde nichts gefunden.«
»Und womit wurde dann Nightingale niedergeschossen?«
»Das«, sagte Seawoll, »hofften wir von Ihnen zu erfahren.«
»Wollen Sie damit sagen,
ich
hätte auf ihn geschossen?«
»Haben Sie?«, fragte Stephanopoulos.
Mein Mund war plötzlich sehr trocken. »Nein«, sagteich heiser. »Habe ich nicht, und wenn keine Waffe gefunden wurde, womit hätte ich dann auf ihn schießen sollen?«
»Angeblich können Sie Dinge durch Ihre Gedanken bewegen«, sagte Stephanopoulos.
»Nicht durch meine Gedanken.«
»Womit denn dann?«
»Durch Magie.«
»Okay, dann eben durch Magie«, sagte Stephanopoulos.
»Wie schnell können Sie etwas bewegen?«, fragte Seawoll.
»Nicht so schnell wie eine Kugel.«
»Ach«, sagte Stephanopoulos. »Wie schnell wäre das denn?«
»Dreihundertfünfzig Meter in der Sekunde«, sagte ich. »Aus einer modernen Pistole. Schneller aus einem Gewehr.«
»Wie viel ist das in guter alter britischer Maßeinheit?«, wollte Seawoll wissen.
»Weiß ich nicht«, antwortete ich. »Wenn Sie mir einen Taschenrechner leihen, kann ich es ausrechnen.«
»Wir möchten Ihnen ja gern glauben«, sagte Stephanopoulos, offenbar in der Rolle des »netten Bullen« – die unglaubwürdigste Rollenbesetzung in der Geschichte des Polizeiwesens. Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Ich hatte zwar keine Fortgeschrittenenkurse in Verhörtechniken belegt, aber ich kannte die Grundlagen und wusste daher, dass sie diese Vernehmung viel zu schlampig führten. Ich blickte zu Seawoll, und er sah mich mit diesem »Endlich-merkt-er-was«-Blick an, den Lehrer, vorgesetztePolizeibeamte und Mütter der oberen Mittelschicht so gut draufhaben.
»Was genau möchten Sie glauben?«, fragte ich.
»Dass es wirklich Magie gibt«, sagte Seawoll und schenkte mir ein wissendes Lächeln. »Können Sie uns vielleicht ein bisschen was vorführen?«
»Das wäre keine gute Idee«, sagte ich. »Es könnte gewisse Nebenwirkungen geben.«
»Klingt mir nach billiger Ausrede«, meinte Stephanopoulos. »Welche Art von Nebenwirkungen?«
»Wahrscheinlich würde es Ihre Handys, Palms, Laptops und andere elektronische Geräte im Raum zerstören.«
»Was ist mit dem Kassettengerät?«
»Das auch.«
»Und die Überwachungskamera?«
»Wie das Kassettengerät«, sagte ich. »Sie können Ihre Telefone schützen, indem Sie die Akkus herausnehmen.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte Stephanopoulos und beugte sich aggressiv über den Tisch, wobei sie geschickt vor der Kamera hinter ihr verbarg, dass sie gleichzeitig den Akku aus ihrem erstaunlich damenhaft-zierlichen Nokia-Handy nahm.
»Ich denke, wir wollen eine Demonstration sehen«, sagte Seawoll.
»Wie umfangreich?«, fragte ich.
»Zeigen Sie uns, wozu Sie fähig sind, mein Junge«, antwortete Seawoll.
Ich hatte einen langen Tag hinter mir und war ziemlich erledigt, daher konzentrierte ich mich auf die einzige
Forma
, die ich auch in einer Krisensituation zuverlässigzustande brachte – ich produzierte ein Werlicht. Unter der hellen Beleuchtung der Neonröhre wirkte es blass und schmächtig. Seawoll war nicht beeindruckt, aber Stephanopoulos’ breites Gesicht verzog sich zu einem so strahlenden Lächeln unverhohlener Freude, dass ich sie einen Moment lang als kleines Mädchen in einem mit Plüschponys vollgestopften rosa Kinderzimmer sah. »Es ist wunderschön«, hauchte sie.
Eine Tonbandkassette hatte sich im Gerät völlig verwickelt und ein heilloses Durcheinander angerichtet, die andere hatte schlicht den Geist aufgegeben. Durch meine Experimente wusste ich, dass ich die Intensität des Werlichts um einiges steigern musste, um die Kamera auszuschalten. Ich konzentrierte mich darauf, das Werlicht noch ein wenig heller zu machen, als die »Gestalt« in meinem Kopf aus dem Ruder lief und ich plötzlich eine Lichtsäule erzeugte, die bis zur Decke hochzuckte. Sie war leuchtend blau und klar abgegrenzt wie ein Laserstrahl. Als ich meine Hand bewegte, zuckte der Lichtstrahl über die Wände
Weitere Kostenlose Bücher